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Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings

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post@<strong>Lars</strong><strong>Hennings</strong>.de 49<br />

diesem Anlaß mag einem anderen Gedanken folgen, der Versorgung im Jenseits. Auf dem<br />

Königsfriedhof von Ur gab es einige solcher Fälle, in einem Grab wurden – aber schon in<br />

der Zeit vor nur 4.500 Jahren – 74 „Diener“ mit begraben; Roaf weist darauf hin, ein<br />

solcher Ritus sei in Sumer ohne Parallele. 1 (1998: 92) Die Praxis, regelmäßig den Besitz<br />

der Toten mit ins Totenreich zu geben, zeigt durch deren unterschiedliche Qualität zudem<br />

früh auch eine soziale Unterscheidung, nicht weil den Toten „viel“ mitgeben werden<br />

konnte, das war ja deren Eigentum, sondern weil die Nachlebenden selbst wahrscheinlich<br />

viel besaßen, Familienbesitz. In Europa begann diese Sitte des Begräbnisses offenbar gut<br />

10.000 Jahre vor dem Bau am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> hier und da. Im Zusammenhang mit der<br />

Bestattung könnte die soziale wie geistige Ausdifferenzierung von SchamanInnen<br />

begonnen haben und damit die einer weitergehenden weltlichen Macht, die SchamanInnen<br />

durch ihr Ansehen zugleich erwerben. Auch in den Prozessen der Macht entsteht<br />

Individuation. Auch das Herstellen von (meist Frauen-) Figurinen mag bereits einen<br />

gewissen Blick auf das Individuum bedeuten, und in der Initiation wird der einzelne Mann<br />

als Teil aller Männer „gemacht“.<br />

Bei den Hinweisen auf Person und Individualität bei Menschen der Steinzeit halte ich<br />

mich nun primär an die von Lévy-Bruhl (1956) untersuchten Fallstudien über rezente<br />

Urvölker in seinem Buch: Die Seele der Primitiven. Dabei geht es nicht um die<br />

Darstellung einzelner Fälle, die er analysiert, dazu komme ich später noch bei der<br />

Schilderung des prä-operationalen Menschens. Als erstes werfen wir noch einmal einen<br />

Blick auf die Vorstellung des Animismus‘. Damit meine ich stets relativ allgemein, an<br />

Geistwesen glaubende Menschen gehen bei allen Erscheinungen von subjektiven Kräften<br />

aus, die handeln; mehr verbinde ich damit nicht. Lévy-Bruhl versteht – vor allem gegen<br />

den von Tylor begründeten Animismus und Prä-Animismus gerichtet – den Begriff<br />

anders. Denn auch in von ihm analysierten Berichten findet er oft eine besondere Form<br />

des Animismus‘: bestimmte Geistwesen, die aus bestimmten Personen sich lösen können<br />

und anderwärtig tätig zu sein, seien von einer Seele (!) belebt. Vor allem Missionare<br />

verstanden Schilderungen von rezenten Urvölkern in dieser Weise, sagt er, und diese<br />

Differenz hilft uns, das Thema zu vertiefen. Denn christlich gesehen ist die Seele deutlich<br />

vom Körper getrennt, beziehungsweise trennt sie sich im Tode vom Körper. Bei den<br />

rezenten Urvölkern – sagt Lévy-Bruhl dagegen – gibt es diese Trennung gar nicht. „Der<br />

Missionar glaubt an die Unterscheidung zweier Substanzen, von denen die eine<br />

körperlich und vergänglich, die andere geistig und unsterblich ist. Im Leben vereint,<br />

bilden sie die menschliche Persönlichkeit; der Tod trennt sie und befreit die geistige<br />

Substanz, die Seele, die eigentlich der Mensch ist. Nichts liegt aber der Denkungsart des<br />

Primitiven ferner als eine solche Gegenüberstellung der beiden Substanzen, deren<br />

Attribute einander widerstreiten. Sie sieht vielmehr alle Wesen als gleichartig an. Es ist<br />

keines rein stofflich, noch viel weniger aber rein geistig. Sie sind für den Primitiven<br />

ausnahmslos Körper und besitzen, allerdings in verschieden hohem Grad, jene<br />

mystischen Eigenschaften, die wir nur den Geistern zuerkennen“. (1956: 207; hv. h.) Die<br />

genannten Wesen seien so etwas wie ein „doppeltes Ich“, als das jeder Mensch existiere.<br />

Jede Person gilt zugleich als Wesen, das mit der Person völlig verschmolzen scheint. Die<br />

Person kann sowohl real irgendwo sein, ein Haus bauend oder schlafend zwischen der<br />

Familie, als zugleich auch an ganz anderem, auch weit entferntem Ort als geistige Kraft.<br />

Bösen wie guten Zauber ausübend, unsichtbar oder sichtbar etwa in Form eines<br />

Raubtieres, das einen Feind dieser Person verschlingt. Bei einem aufkommenden<br />

Verdacht, die Person hätte mittels eines Raubtiers getötet (und sei es ein aus<br />

Alterschwäche gestorbener), hätte diese sich vielleicht einer Ordalie stellen müssen,<br />

einem „Gottesurteil“, wie wir sagen, etwa einem Gifttrunk, um festzustellen, ob sie in der<br />

Ferne zaubernd tätig geworden ist. Aber – komme ich zur Definition des Animismus<br />

zurück – nicht ihre „Seele“ verläßt sie zu dieser „Zauberreise“, sondern das, was die<br />

Missionare als christliche Seele mißverstehen, ist in jenem Verständnis gleichermaßen<br />

hier wie dort und gleichzeitig anwesend. Das erinnert an die Schilderung Hübners über die<br />

mythische Vorstellung im alten Griechenland, die ganz ähnlich für Mesopotamien oder<br />

Ägypten beschrieben wird. Diese Vorstellung einer alles durchdringenden Kraft mag<br />

helfen, die Beschreibung des doppelten Ichs nachvollziehbar zu machen und könnte sich<br />

bei Menschen aus einem Gefühl heraus entwickelt haben, nicht immer „ein- und dieselbe“<br />

zu sein, sich „mal so mal anders“ zu fühlen. Und das Erklären eines Traumes, in dem die<br />

1 Noch im 6. JH nC wurde in Nubien ein ganzer Hofstaat mit König, Königin, Sklaven, Knechten, Pferden,<br />

Kamelen, Hunden, Kostbarkeiten aller Art begraben. (Kirwan, 1963: 55ff)

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