Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings
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post@<strong>Lars</strong><strong>Hennings</strong>.de 51<br />
als sei er abwesend gewesen, also schuldlos. Aber eine biologische Art wird nicht in<br />
unserer Weise begriffen, sondern als eine Art Lebensprinzip. Auch das Töten eines Tieres<br />
trifft nicht das einzelne Tier, sondern die Art, dies aber nicht quantifizierend verstanden;<br />
auch Tiere können wiedergeboren werden. Die abstrakte Idee der biologischen Art wird<br />
so nicht gedacht, und die Vorstellung, beispeilsweise die Eskimos könnten bei den<br />
Riesenmengen von Karibus, die sie töten, diese Art ausrotten, existiert so nicht. Werden<br />
diese Tiere seltener, gibt es dafür eine mystische Erklärung. Ebenso ist es eine mystische<br />
Kraft, die den Häuptling zum Häuptling macht, nicht sein Bemühen, ein Großer Mann zu<br />
werden. Deshalb sind die Großen, die SchamanInnen, die GreisInnen scharf umrissene<br />
Persönlichkeiten, nicht aber die normalen Mitglieder eines Stammes; sie stehen in einem<br />
besonderen Verhältnis zur mystischen Kraft oder auch zum Boden, in dem die Ahnen<br />
leben, die die soziale Einheit begründet haben.<br />
Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück und differenzieren Gemeinschaften entlang<br />
des Begriffes des Animismus im von mir verwendeten Sinn, mit dem auch Lévy-Bruhl<br />
kein Problem hätte, da er ohne Seele verstanden ist. Ich erinnere auch daran, nicht von<br />
festen (evolutiven) Entwicklungsstufen auszugehen, wenn auch von einem Richtungssinn<br />
zum Komplexeren oder ähnlichem. Auch darin sind wir einig, weil auch er am Ende<br />
seiner Arbeit über das Denken der Naturvölker die Differenz von Prä-Animismus und<br />
Animismus bespricht. (1910) Ersterer wäre ein animistischer Zustand noch ohne<br />
nennenswerte Namensnennung der Geistwesen, die Menschen empfinden eher jene<br />
durchgängige mystische Kraft in allem. In einem weiter entwickelten Animismus gäbe es<br />
dann eine intensivere geistige Durchdringung des Lebens im beschriebenen Sinn, und es<br />
ist daran anschließend von früher Religion zu reden, die nun schon als ein definiertes<br />
geistiges System verstehbar ist. Deren Personal wird von mir nicht mehr als<br />
SchamanInnen sondern als PriesterInnen bezeichnet. Der Nebel lichtet sich. Und doch:<br />
Auch diese Religion bleibt ja lange noch animistisch! Die Geistwesen verdichten sich,<br />
wie sich auch Macht in Gemeinschaften konzentriert. In dieser Weise wäre – allerdings<br />
höchst spekulativ – noch einmal auf den Homo sapiens außerhalb Afrikas zu blicken.<br />
Dann scheint es sinnvoll, zwar den Richtungssinn der Kognition zu erkennen, aber über<br />
weite Zeiträume im besiedelten Nahen Osten und Europa dennoch von der Mlglichkeit<br />
unterschiedlich „gebildeter“ Stämme auszugehen. Lange Zeit und auch immer wieder und<br />
überall lebten wahrscheinlich relativ schlichte Gruppen mit solchen nebeneinander, die es<br />
aus ihren Erfahrungen zu einem weitergehenden Denken gebracht haben. Prä-animistische<br />
Stämme wurden nicht nur von animistischen abgelöst, obwohl es solche Schübe in einem<br />
Stamm sicher ebenso gab wie auch Regressionen, die schon durch klimatisch bedingtes<br />
längeres Jagdpech vorstellbar ist; auch Verarmungen des Geistes können damit<br />
einhergehen, wenn Tag und Nacht ums Überleben gekämpft wird.<br />
Wenn Lévy-Bruhl darauf hinweist, es gäbe in prä-animistischen Gruppen, wenn<br />
überhaupt, seltener oder auch weniger ausgestaltete Mythen und die Geistwesen seien<br />
weniger individualisiert, (1910: 327f) haben wir also einen Zusammenhang zwischen der<br />
Individualisierung der Geister und der Menschen – oder andersrum? Er spricht auch von<br />
einer wachsenden Empfindsamkeit gegenüber Erfahrungen in den mystischen Bereichen<br />
des Denkens, die meist gegenüber Erfahrung taub sind, wenn die sich gegen Mystisches<br />
stellt; (337) es geht bei meinen Überlegungen ja um das Weltbild, nicht um Verrichtungen<br />
des Alltags. Und in dieser Weise kamen Menschen – im Falle weitergehender<br />
Entwicklung – auch immer stärker zu Begriffen, wenn auch noch nicht gleich zu solchen<br />
in unserem Sinne moderner Logik. (339) Übertragen wir diese Gedanken nun auf die<br />
Leute vom <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> beziehungsweise auf die größere Region der Harran-Ebene und<br />
über sie hinaus, haben wir derzeit wohl nur die vage Möglichkeit, uns Gruppen<br />
vorzustellen, von denen die einen noch prä-animistisch dachten, die anderen animistisch.<br />
Und einer Gruppe, jener die dann den Tempel baute, scheint der Sprung in frühe Religion<br />
als Grundlage ihrer Kognition gelungen zu sein, wie ich es hier angesichts der großen<br />
Mittel-T-Pfeiler vertrete. Differenzierter scheint die Analyse des Weltbildes derzeit nicht<br />
diskutierbar. Nun werfen wir noch einen Blick weit voraus in Richtung des viel späteren<br />
Sumers, womit nicht behauptet werden soll, es habe eine Kontinuität vom <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong><br />
nach Uruk und dessen Vorläufer-Dörfern gegeben. Aber es ist auch nicht unmöglich, die<br />
Geistesgeschichte sich so fortsetzend vorzustellen, um nach der Individualisierung der<br />
Menschen und Geister zu forschen.<br />
Um die Person, die Individualität geht es im Epos von Gilgamesch und dessen von den<br />
GöttInnen erschaffenen Freund Enkidu; ich erzählte oben die Geschichte schon in ihren