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Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings

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64 Der prä-operative Mensch<br />

wissenschaftlichen Tradition“, sagt Lévi-Strauss sogar. Dabei sieht er zwei verschiedene<br />

Arten dieses wissenschaftlichen Denkens, eine, die der sinnlichen Intuition näher,<br />

(„Bastler“) und eine – unsere –, die ihr ferner läge. („Wissenschaftler“; 1973: 27) Seine<br />

Folgerung ist auch: „Wir beginnen erst langsam zu ahnen, daß frühere Beobachtungen,<br />

die man ebenso seltenen wie scharfsichtigen Forschern wie Cushing verdankt, keine<br />

außergewöhnlichen Fälle aufdecken, sondern daß sie auf Formen des Wissens und der<br />

Reflektion hinweisen, die in den sogenannten primitiven Gesellschaften außerordentlich<br />

verbreitet sind. Aufgrund dieser Tatsache muß sich das traditionelle Bild, das wir uns<br />

von dieser Primitivität gemacht haben, ändern. Niemals und nirgends war der ‚Wilde‘<br />

wohl jenes Lebewesen, das, kaum dem tierischen Zustand entwachsen, noch der<br />

Herrschaft seiner Bedürfnisse und Instinkte ausgeliefert ist, wie man es sich allzuoft<br />

vorgestellt hat“. Doch wenige Zeilen später benennt Lévi-Strauss dieses Wissen als dem<br />

im alten Griechenland und Mittelalter entsprechend. (55f) Er nähert sich Lévy-Bruhl<br />

wieder an; ein Streit um Worte, wie insbesondere dessen Buch von 1910 zeigt (in dem auf<br />

Cushing und die „wilden Philosophen“ bei Tylor bereits verwiesen wird). Beide sehen<br />

noch nicht das von Dux betonte Problem einer strukturalen prä-operationalen Logik. Zur<br />

Beurteilung der Lebensweise traditionaler Völker ist zudem deutlich einerseits die große<br />

Bedeutung von Geistwesen, Träumen, GöttInnen, Mythen im Leben früher Völker zu<br />

bedenken, die zu irrationalen Lebensvorstellungen führt, und andererseits die Fähigkeit<br />

der Individuen auch jener Urvölker zum Umgang mit diesen animistischen Systemen im<br />

Alltag. Lévy-Bruhl teilt diese Vorstellungen in drei Kategorien ein: 1. in die Geistwesen,<br />

die natürliche Dinge beleben, Tiere, Pflanzen, unbelebte Wesen (Flüsse, Felsen, Meer,<br />

Berge, von Menschen hergestellte Gegenstände und so weiter), 2. Geistwesen der<br />

Verstorbenen und 3. die Hexereien oder Zauberwerke, die aus Handlungen der Zauber<br />

herstammen. (1959: 44ff, bei L-B: 2. 1. 3.) In dieser Reihenfolge ließe sich an eine<br />

historische Folge denken, denn ab der Totengeistwesen ist wohl eine Berücksichtigung<br />

individueller (!) Ahnen zu erkennen. Solche Zauber sind erstmal anonyme Kräfte, die<br />

Menschen gezielt gegen andere Menschen einsetzen, auch über Entfernungen, oder die<br />

von Menschen Besitz ergreifen, die von dieser Kraft nicht wissen. Schad-ZauberInnen –<br />

die nicht mit SchamanInnen zu verwechseln sind – sollen am besten getötet werden, um<br />

weiteren Schaden abzuwehren. Aber mit ihnen wird auch nach Ursachen durch<br />

Handelnde, also innerhalb der Menschen gesucht, wenn auch der Beweis, jemand habe<br />

verzaubert, völlig irrational beziehungsweise ohne jede wirkliche Beweiskraft in unserem<br />

Sinn erhoben wird, wie noch zu zeigen ist.<br />

WildbeuterInnen werden bei Lee/ Daly (1999: 4ff) so definiert: diese Menschen seien<br />

(1) relativ gleichgestellt und hätten keine Führungsfiguren, sie seien (2) mobil – was bei<br />

komplexen SammlerInnen und Jägervölkern nicht mehr gilt –, und könnten „mit den<br />

Füßen abstimmen“, wenn ihnen etwas an der Struktur ihrer Gruppe nicht gefällt. Es gäbe<br />

(3) ein Muster von Konzentration und Verteilung im Raum, etwa wird im Winter in<br />

kleinen Gruppen „überlebt“, im Sommer der Stamm aber zu einer großen Gruppe vereint.<br />

Land wird (4) als gemeinsamer Besitz verstanden, das alle Individuen nutzen können. Das<br />

Teilen sei (5) zentrale Regel, wobei Gegenseitigkeit gelte; Geschenk und Gegengeschenk;<br />

wir werden später bei den Trobriand-Inseln noch sehen, daß es weniger um Teilen als um<br />

Geben geht. Die Umwelt gilt als religiös/ spirituell durchgeistigt und nicht als Wildnis,<br />

wie bei jüdisch-christlicher Tradition. Natur ist (6) animistisch, und (7) die Ahnen<br />

vertreten die Vergangenheit. Eine zentrale Figur ihres Glaubens ist (8) der Trickster, eine<br />

wiedersprüchlich mal gut mal böse agierende Figur in den Mythen; wir sehen ihn in<br />

Mesopotamien mit Enki (Germanen: Loki). Als weitere Gemeinsamkeit wird auf<br />

SchamanInnen verwiesen (das Wort kommt vom sibirischen saman). Und sie gelten (9)<br />

generell als ethisch und sozial (was immer das sein mag). Different seien die<br />

Lebensformen hinsichtlich (10) der Gewalt oder der Friedlichkeit. Auch die Wertung (11)<br />

des Geschlechts (gender) ist unterschiedlich, mal sind Männer sehr gewalttätig gegen<br />

Frauen, mal diese relativ gleichberechtigt; eine perfekte Gleichheit gäbe es nicht!<br />

Letztlich seien (12) SammlerInnen und Jäger mehr oder weniger einfach oder komplex<br />

strukturiert.<br />

Was mir bei dieser Sammlung natürlich fehlt, ist die generelle Differenz, die ich mit der<br />

Kennzeichnung jener Menschen als prä-operational verbinde. Das hat hin und wieder<br />

Folgen, wenn sie glorifiziert werden, sie lebten im Einklang mit der Natur, ohne<br />

Hierarchien, selbst die Geschlechter seien gleichberechtigt und dergleichen. Nochmals sei<br />

betont, es geht nicht um eine generelle Zurücksetzung, doch wir haben gesehen, welche

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