Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings
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80 Kompetenz zur Welterklärung<br />
organischen Anpassung geben. Kinder, Erwachsene, davon die Alten, vor allem aber<br />
Männer und Frauen unterschieden sich, hatten unterschiedliche Aufgaben und Ränge<br />
einzunehmen, bildeten unterschiedliche Qualifikationen aus und gewannen<br />
unterschiedliches Ansehen, in engen Grenzen auch bereits so etwas wie Besitz. Besitz, der<br />
vielleicht ständig zu erneuern war, aber jene, die ständig das beste Werkzeug machten, die<br />
besten Nahrungsplätze fanden, konnten wohl auch leichter größere Familien gründen. Wer<br />
die Zeit besser nutzen konnte, war in der Lage, Dinge zu produzieren, die andere nicht<br />
herstellen konnten, etwa Perlen aus Knochen, wie sie in frühen Gräberfunden zu<br />
Tausenden entdeckt wurden. Diese Menschen lagerten nicht unter Büschen über Nacht<br />
wie Tiere, sondern früh in Hütten und Häusern, wenn nicht Höhle oder Abris zur<br />
Verfügung standen. Und sie lebten unter Geistwesen, die ihnen die Logik des präoperativen<br />
Denkens und Glaubens und die Elemente der Natur vorgaben. Nur besondere<br />
Ereignisse änderten ihr Leben und Denken. Trafen sie auf andere Stämme ging es um<br />
Leben und Tod, wenn es nicht gelang, zum beiderseitigen Wohl Gemeinsamkeiten zu<br />
entwickeln, durch Verwandtschaft oder Handel oder gemeinsame Jagd vielleicht. Als die<br />
Eiszeit auf ihrem Höhepunkt die Menschen nach Süden und vielleicht besonders nach<br />
Südwesten trieb, gab es viele neue Begegnungen. Die Lebensgrundlagen änderten sich,<br />
Pflanzen und Tiere wechselten in den Regionen, aus Kräuter-Tundra wurde vielleicht<br />
Wald. Auf das alles mußte reagiert werden, durch Änderung des Lebens, durch Lernen!<br />
Lernen von Sprachen, die Sitten und Gebräuchen des Alltags wie des Religiösen bei<br />
anderen, lernen über Pflanzen und Tiere, über das Wetter und neue Geistwesen. Lernen<br />
neuer Techniken für Werkzeuge und Waffen; das Malen auch. Die Horizonte weiteten<br />
sich durch Erleben und Erzählungen. Wer überleben wollte, mußte die besseren Ideen<br />
haben, mit der neuen Welt umzugehen.<br />
Lernen war auch die entscheidende Notwendigkeit am Ende der Eiszeit in Nord-<br />
Mesopotamien. Auch hier änderte sich das Leben gravierend. Daß es durch den<br />
Klimawandel dort besser werden würde, war lange nicht zu erkennen. Zuerst werden die<br />
Menschen versucht haben, sich den wechselnden Standorten der Tiere und Pflanzen<br />
anzupassen, die sie kannten. Wanderungen entstanden. Land war neu in Besitz zu nehmen,<br />
vielleicht zu erobern. Kundige Führer gewannen an Einfluß in den Gruppen, Krieger auch,<br />
die den Boden sicherten und dessen Macht verkörperten. Und die Kenntnis über die<br />
Geistwesen wurde immer bedeutender, neue wurden wichtiger, wenn etwa der Himmel<br />
einzustürzen drohte. Hunderte von Jahren vergingen vom Beginn der Erwärmung bis zum<br />
offiziellen Ende der Eizeit just zu der Zeit, als der <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> einen Tempel erhielt.<br />
Eine lange Zeit, in der sich diese vielfältigen Prozesse abspielten, ein Kommen und Gehen<br />
von Völkern vielleicht, aber auch von Antworten auf diese Krise. Irgendwann hat sich<br />
jener Stamm auf dieser Ebene etabliert, mit dem wir es zu tun haben, wenn wir den<br />
<strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> analysieren. Ein soziales System mit neuen Ordnungsbeziehungen der<br />
Gruppen, mit erlernten Fähigkeiten auch, die über das Wissen und Können früherer<br />
Generationen hinauswachsen mußten, wohl auch über das der Nachbarn. Fähigkeiten, die<br />
entwickelt werden mußten, um das Neue verstehen und handhaben zu können. Ein Stamm,<br />
der sich zur Kultgemeinschaft verbunden hatte, zur Vorstellung einer sozialen Einheit.<br />
Dafür mußten Vorleute in den einzelnen Gruppen heraustreten, wenn nicht mehr nur ein<br />
Palaver Aller alles regeln konnte, um zu koordinieren, das Alltägliche wie das Geistige.<br />
So entstanden weltliche und geistige Eliten durch Struktur- und Machtprozesse mit<br />
Nebenfolgen. Ein Stamm, der sich sicher fühlte an seinem heiligen Berg, so sicher, daß<br />
nicht eine Burg entstand, sondern ein Heiligtum als Zentrum des neuen Lernens und des<br />
Wissens über die sich ändernde Umwelt und die Kräfte der Natur. Das Heiligtum eines<br />
erweiterten Weltbildes, dessen GöttInnenwelt in der Lage war, den neuen Himmel über<br />
der Ebene zu stützen, war vielleicht besser als Waffen, um die Nachbarn friedlich zu<br />
stimmen. Ein Heiligtum mit der Kompetenz der Erklärung der neuen Epoche entstand, ein<br />
Orakel der Steinzeit.<br />
Tausend Pfeiler...<br />
Wenn ich an die fast untergegangene Geschichte Amerikas vor Kolumbus denke, wo<br />
lange die ausgeprägten landwirtschaftlichen Kulturen mit ihren großen Erdbauwerken<br />
(Mounds) am Amazonas und am Mississippi „übersehen“ wurden, (Mann, 2005; Josephy,<br />
1998) frage ich mich, ob nicht auch vor der Zeit des Kultbaus am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> dort eine<br />
noch nicht entdeckte Kultur bestehen konnte; eine nicht entdeckbare vielleicht, weil alle<br />
Spuren verweht oder versunken sind, zuletzt jetzt die an den Flüssen, nachdem