Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings
Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings
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62 Macht und Vorratshaltung<br />
Summe von kleinen Gruppen denken, die sich als zusammengehörig verstanden,<br />
beispielsweise wegen einer gemeinsamen Sprache. Sondern es entstand eine soziale<br />
Einheit, die vielleicht als Kern einen Großen Mann in ihren Reihen hatte, auch wenn der<br />
noch kein institutionalisierter Häuptling ist, wohin eine solche Entwicklung allerdings<br />
drängt, die ebenso schon vorstellbar ist. Wahrscheinlich waren diese Männer dort gute<br />
Jäger, um die heftige Lust auf Fleisch in ihren Gruppen zu befriedigen, das zudem in jener<br />
Zeit die gehaltvollste Nahrung darstellte. Es mußte wohl oft aus großen Entfernungen in<br />
gehörigen Mengen herangebracht werden, da bejagte Tiere in andere Gebiete ausweichen.<br />
Wie weit Wildgetreide jahreszeitlich unabhängig zur Verfügung stand, überblicke ich<br />
noch nicht, wie damals konserviert wurde auch nicht, wahrscheinlich durch Trocknen.<br />
Fleisch wird dabei zu biltong verarbeitet, zu schmalen Streifen, die dann mehrere Monate,<br />
in einzelnen Fällen zwei Jahre halten. (Bartl, 2004: 95)<br />
Ohne hier psychologisch auf die Frage der Folgschaft einzugehen, nutze ich einen<br />
Hinweis zu Sumer, um die Gruppenstruktur weiter zu hinterfragen, die Große Männer und<br />
Gefolge verbindet. Wir hatten bereits gesehen, wie in der Ontogenese auch die<br />
Autoritätshörigkeit ausgebildet wird, wenn im Prozeß der eigenen Erfahrung den Kindern<br />
über die Bezugsperson zugleich von außen eine große Macht gezeigt wird, der das hilflose<br />
Kind völlig ausgeliefert ist. Über die Familie hinaus werden andere Autoritätsstrukturen<br />
wichtig, in Arbeitsprozessen, bei der Ernte beispielsweise. Schmökel sieht in der<br />
Tempelwirtschaft, die die sumerischen Stadtstaaten prägte und Produktion und Verteilung<br />
organisierte, einen religiösen Staatssozialismus; (1956: 54) der läßt sich strukturell gut als<br />
Weiterentwicklung des Systems der Großen Männer und dann des Häuptlingstums in der<br />
Hand der PriesterInnenschaft vorstellen. Auch bei rezenten Urvölkern sind die Häuptlinge<br />
– wie immer sie dazu geworden sein mögen – sozusagen heilige Figuren, von Geistwesen<br />
erhoben, sahen wir auch bei Lévy-Bruhl.<br />
Allerdings war die Situation am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> wohl noch eine ganz andere. Die<br />
Vorstellung eines GöttInnen-Staates kann kaum schon bestanden haben, wie immer der<br />
Pantheon mit den beiden Obermackern, die ich ja allein aus der Anlage D interpretiere,<br />
dort vorgestellt wurde. Einzelne Familien konnten sich wahrscheinlich abwenden und<br />
dennoch überleben. Doch die Situation, in eine Gruppe hineingeboren zu werden und<br />
durch Einübung von Gehorsam durch Familie, Stamm und Geistwesen oder GöttInnen<br />
festgehalten zu werden, ist alternativlos: bewußte Individualität in diesem weitgehenden<br />
Sinn ist geistig noch nicht erfunden. Das Organische des Gruppenlebens war im relativ<br />
homogenen Stamm gegenüber dem Stadtstaat mit seiner Differenzierung und schon<br />
Alternativen, zum Beispiel Bauer oder Hirte, womöglich Schreiber werden zu können,<br />
noch wesentlich naturwüchsiger als dort. Wenn Sumer denn einen Anschluß dorthin<br />
bezeichnete; der göttliche Berg Duku wird auch an anderer Stelle vermutet, sahen wir – im<br />
Osten Sumers, nicht im Nord-Westen. Aber der Blick nach Sumer als mögliche<br />
Perspektive mag die soziale Menschwerdung am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> einzugrenzen helfen, eine<br />
Richtung anzeigen. Wenn alles nicht ganz anders war.<br />
Der prä-operative Mensch<br />
Eine sozial differenzierte Gruppe, die wahrscheinlich von Großen Männern/<br />
Häuptlingen/ SchamanInnen/ PriesterInnen zur koordinierten Arbeit motiviert wurde, auch<br />
dazu, individuelle handwerkliche Fähigkeiten auszubilden, verweist auf eine Differenz zu<br />
solchen einfachen WildbeuterInnen, die noch direkt von der Hand in den Mund leben,<br />
autonom und formell frei auf der einen, an die Verwandtschaft und die Geistwesen<br />
gebunden auf der anderen Seite. Neue soziale Rollen entstehen. Einfache<br />
Häuptlingsysteme sind bereits im Zustand der Wildbeuterei denkbar. Um den Kultbau zu<br />
errichten, bedurfte es eines weiteren Schrittes zu einem komplexeren Denken. Deshalb ist<br />
schwer vorstellbar, es habe vor diesem konkreten Bau nicht schon Erfahrungen gegeben,<br />
die den <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> später möglich machten; das meint auch Schmidt, der dabei an den<br />
Mauerbau für Tierfallen und zum Schutz von Wildgetreide denkt. Erfahrungen mit<br />
einfacheren Steinmauern in der umgebenden Ebene also, über die bislang keine Kenntnis<br />
besteht. Gibt es frühere Bauten in jenem Schuttberg? Oder dort, wo Schmidt nach dem<br />
zufälligen Auffinden einer männlichen Skulptur bei einem Bauvorhaben weitere<br />
archäologische Stätten vermutet, unter der Altstadt von Urfa? Das würde auch den Druck