Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings
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76 Gentilgemeinschaft?<br />
Kenntnisse nahe, bereits eine gewisse soziale Schichtung anzunehmen. Wir haben Räte/<br />
Oberhäupter und/ oder SchamanInnen oder schon PriesterInnen. Am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong><br />
kommen Baumeister hinzu, die die Anlage planen und umsetzen; Frauen, wenn die auch<br />
die Erfahrung mit den Hütten entwickelten, kann ich mir nicht vostellen. Sondern hier<br />
sehen wir Große Männer wirken, auf welcher Basis auch immer, beim Tempelbau wohl<br />
eher auf geistiger. Für den Entwurf wurden wahrscheinlich Modelle gebaut; in Nevalı<br />
Çori fanden sich entsprechende kleine T-Pfeiler und in Çayönü wurde ein Hausmodell aus<br />
Ton geborgen. (Schmidt, 2008: 80, 106) Weitere Tonmodelle von Häusern sind anderswo<br />
gefunden worden, wenn auch viel später. (Nunn, 2006: 19) Die Baumeister könnten<br />
zugleich die Bildhauer gewesen sein, wie es in der Gotik bei den großen Domen vorkam;<br />
Künstler galten noch bis ins Mittelalter als Genies (Heilige), die deshalb Göttliches<br />
schaffen konnten und durften! War dieser Ort schon zuvor ein (heiliges) Zentrum<br />
periodischer Treffen? Hübner spricht für die Griechen von solchen numinosen Orten und<br />
Hainen. In den Gentilgemeinschaften aus mehreren Gentes entstehen frühe<br />
organisatorische Institutionen. Eine durch Einstimmigkeit bestimmte Führungsfigur hat<br />
noch keine Vorrechte, sie ist ausführendes Organ, kann abgewählt werden. Selbst wenn es<br />
vielleicht zuerst vorkam, Frauen zu wählen, wird wahrscheinlich von den Frauen und/<br />
oder Männern für Aufgaben besonderer Art, die Bedeutung für die äußere Situation der<br />
Gentes haben, ein Mann bestimmt werden, schließen wir aus sehr viel späterer Zeit<br />
(Irokesen). Nach weiteren Teilungen werden die Gentes unübersichtlich, bei großen<br />
Stämmen wird vielleicht eine Unterteilung in zwei höhere Gruppierungen vorgenommen,<br />
die bei Morgan (mit den Griechen) Phratrien heißen, eventuell wieder mit exogamer<br />
„Heiratsordnung“. Zu jeder Phratrie gehört dann die Hälfte der Gentes. Ihre Summe bildet<br />
den Stamm, der sich gegebenenfalls mit anderen gleichsprachigen Stämmen zu einem<br />
Bund vereinigt. In alle Räte dieser Organisierung werden von den einzelnen Gentes ihre –<br />
auf Lebenszeit bestimmten, aber dennoch abwählbaren – Vorleute geschickt, die jedoch<br />
von der höheren Ebene des Rats, in den sie entsandt werden, anerkannt und ins Amt<br />
eingesetzt werden müssen. So entstehen gegenseitig abhängige funktionale Strukturen, in<br />
denen einzelne Personen kaum Führungsansprüche entwickeln können. Das wäre eine<br />
Möglichkeit sozialer Organisierung auch schon im Nord-Mesopotamien der Steinzeit. Bei<br />
matrilinearer Struktur kann dann nicht einmal der biologisch eigene Sohn eines Mannes<br />
zum erblichen Nachfolger in der Gens werden, sondern nur ein Bruder oder Neffe im<br />
damaligen Verständnis. Diese Gentilverfassung kann also erst einmal ein persönlicher<br />
Zusammenschluß noch gleichberechtigter Menschen sein, bevor sich über die Großen<br />
langsam soziale Differenzierungen entwickeln. Sie ergibt sich funktional aus dem<br />
Gruppenleben, so daß leicht vorstellbar ist, sie sei bereits lange vorm Entstehen der<br />
dörflichen Agrargemeinschaft verbreitete Praxis gewesen, sicher zuerst viel weniger<br />
formal strukturiert. Große Regionen konnten auf diese Weise gemeinsam, ohne<br />
permanenten Kriegszustand aller gegen alle, besetzt – wenn auch wohl nicht „besessen“ –<br />
werden; Fremde bedurften wahrscheinlich der Durchzugsgenehmigung (Khoisan).<br />
Gemeinsame Aufgaben, wie die Großjagd auf Gazellen und die Errichtung von<br />
Schutzmauern vor Beständen des Wildgetreides, scheinen mit solcher Organisierung gut<br />
lösbar – wenn es sie denn gab.<br />
Und es gab einen Rahmen für die Weiterentwicklung hin zu jener Kultgemeinschaft mit<br />
dem von Schmidt genannten Radius von 200 Kilometern, die 1.000 Jahre später Nevalı<br />
Çori errichtete und jene anderen Orte, an denen T-Pfeiler bekannt sind. Für die Errichtung<br />
des Tempels – sehen wir gleich – reichten noch wenige Gentes aus. Aber mit der<br />
langsamen Entwicklung zur Institution des Häuptlings und wahrscheinlich zuvor die der<br />
SchamanInnen entstehen auch neue, zuerst informelle Machtpositionen, selbst wenn noch<br />
nicht Herrschaft daraus sich bildet. Neben oder aufgrund der oben geschilderten Prozesse<br />
kann wachsendes persönliches Eigentum einiger Männer ein wichtiges Motiv zur<br />
Durchsetzung einer patriarchalen (!) Organisation sein. Ebenso kommt der Wunsch der<br />
direkten Vererbung auf die eigenen Söhne in Frage – für manche rezenten Urvölker belegt<br />
–, die bei Matriliniarität einer anderen Gens zugehörig sind. Vielweiberei besteht meist<br />
zugunsten älterer Männer, benötigt aber eine Machtbasis und -ideologie; ein weiteres<br />
Motiv. Der Übergang von der matriarchalen zur patriarchalen Linie wäre dann übrigens,<br />
wie Morgan betont, (1877: 58) einfach per Beschluß für die folgende Zeit bestimmbar<br />
gewesen (anläßlich der Einweihung des Tempels?). Gab es am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> einen<br />
solchen Beschluß, einen Schamanen oder Häuptling für die besondere Bau-Aufgabe zu<br />
bestimmen, oder eine Gruppe? Hatten sich Männer als Schamanen einen absoluten