Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings
Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings
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Zur Soziologie der Steinzeit<br />
post@<strong>Lars</strong><strong>Hennings</strong>.de 5<br />
Die Kultanlage <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> ist ein guter empirischerAusgangspunkt, um über<br />
steinzeitliche Individuen und ihre sozialen Organisationen und Fähigkeiten nachzudenken.<br />
Die Leistung, die sich in diesem Bau zeigt, erlaubt einen weiten Blick über die damalige<br />
Normalität hinaus und zwingt doch dazu, im von der Archäologie fixierten Rahmen zu<br />
bleiben. Der Tempel wurde vor ungefähr 11.500 Jahren begonnen. Etwa 7.000 Jahre vor<br />
der Zeit des Königs Gilgamesch von Uruk, über den das erste schriftlich überlieferte Epos<br />
erzählt. Und fast 2.000 Jahre vor der Verbreitung der seßhaften Landwirtschaft in<br />
Südwestasien mit bereits domestizierten Pflanzen und bald auch Tieren. Doch um diese<br />
Frage geht es nicht, warum, wann und in welchen Zeiträumen die Seßhaftigkeit entstand;<br />
Benz (2010) gibt einen Überblick zum Thema und über die Theorien dazu. Mit dem Fokus<br />
auf diesen Tempel soll aus soziologischer Fragestellung heraus besonders das Denken und<br />
Glauben jener frühen Menschen beleuchtet werden, die ihn errichteten. Dazu wird aus<br />
Archäologie, Ethnologie und Soziologie, auf deren Kenntnissen hier aufgebaut wird,<br />
einiges erzählt, um Fachfremden verständlich zu sein. Es wird kleine Reibungen mit jenen<br />
Interpretationen geben, die aus archäologischer Sicht vorgetragen werden. Deshalb soll<br />
klar sein: es wird nicht Interpretationsmacht angestrebt, sondern es geht um soziologische<br />
Überlegungen, die hier und da die Erkenntnisse der Archäologie zu diesem Tempel<br />
tangieren mögen – als Fragen. 1<br />
Bislang galten die Stadtstaaten Sumers, dann Babylons und auch Ägyptens als<br />
Geburtsstätten der Zivilisation, neuerdings wird die Hindus-Kultur für ähnlich alt<br />
gehalten. Andere frühe Hochkulturen folgten erst später. Durch die Ausgrabungen am<br />
„bauchigen Hügel“ im Südosten der Türkei (Nord-Mesopotamien) verschob sich der<br />
Beginn der Zivilisation ein gehöriges Stück zurück, wenn wir davon schon sprechen<br />
wollen. Mir scheint das sinnvoll. Wenn auch keine Siedlung im Schutthügel gefunden<br />
wurde, so markiert der <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> doch einen bedeutenden kulturellen Einschnitt:<br />
WildbeuterInnen – so die spontane Lesart – hätten die Felssteinmauern und die vollständig<br />
aus dem Kalkstein heraus gemeißelten Pfeiler errichtet, die nicht einfache große Findlinge<br />
sind, wie wir es von viel späteren steinernen Monumenten kennen. Der Ausgräber des<br />
Tempels, Schmidt, spricht von reichlich Wildgetreide und wilden Gazellen vor Ort.<br />
(2008) Die wildbeuterischen Gruppen seien dort hinsichtlich der Kopfzahl und zur<br />
Verfügung stehenden Subsistenz kaum in der Lage gewesen, dauerhaft am Ort zu wohnen.<br />
Und am Ende der Nutzung des <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> stünde das planvoll ausgesäte und geerntete,<br />
letztlich das kultivierte Getreide. 2 (2003) Im Tempelschutt wurden folgende Tierknochen<br />
in größeren Mengen gefunden: Halbesel, Auerochse (Ur), Persische Kropfgazelle,<br />
Wildschafe, Asiatische Mufflons, Rothirsch, Wildschwein, Rotfuchs, Hase. Nach<br />
Fleischgewicht ergibt das über 50 % für den Ur. Der Verbrauch könnte aber für (Opfer-)<br />
Feste im Tempel angefallen sein und zeigt nicht den Verbauch am Baubeginn. Driesch/<br />
Peters, die jetzt die Knochen analysiert haben, sehen eine Vorratshaltung besonders<br />
angesichts der großen Fleischmengen des Urs. (1998) In der Archäologie gilt allerdings<br />
die Zeit des Übergangs von der Wildbeuterei zum Ackerbau schon lange als Epi-<br />
Paläolithikum oder Proto-Neolithisierung. Auf diese lange Übergangszeit gilt es<br />
besonders zu achten und dabei auf Gruppen, die zwar noch nicht Landbau betrieben, aber<br />
bereits einen festem Wohnsitz hatten, sie werden als komplexe (!) SammlerInnen und<br />
Jäger bezeichnet. Es hat offenbar in Südwestasien über einen beträchtlichen Zeitraum fünf<br />
zeitliche Abschnitte mit weichen Übergängen gegeben: (1) Wildbeuterei, (2) Seßhaftigkeit<br />
auf Basis von Wildgetreide und Jagdgut, (3) Kultivierung von Pflanzen, dann (4) deren<br />
Domestizierung und (5) die Viehzucht. Welche Rolle mag der Tempel in diesem Wandel<br />
gespielt haben? Oder war etwas ganz anderes seine Ursache? Innere Machtprozesse, oder<br />
schlicht das Wetter, das Ende der Eiszeit? Beide können einen gravierenden Einfluß auf<br />
jene, generell konservative Menschen gehabt haben, die die Geistwesen ihrer<br />
Naturreligion fürchteten, aber offenbar schon eine konzeptuelle Religion entwickelt<br />
hatten. Das geschah kaum ohne (mythische) Not.<br />
1 Es geht mir hier in keinster Weise um Kritik an Ausgräber Schmidt, dessen Interpretation von ganz anderen<br />
Voraussetzungen bestimmt wird als meine soziologischen Fragen, die notwendig – schon wegen der nicht<br />
hinreichenden Kenntnisse der Frühgeschichte – vorerst vage bleiben müssen, die Antworten erst recht. Die<br />
Archäologie ist wiederum zum Soziologischen leicht überfragt; reich geschmückte Frauengräber können<br />
beides bedeuten: Frau eines Mächtigen oder mächtige Frau.<br />
2 Daß die Pflanzendomestikation begonnen wurde, um die Bauarbeiter zu versorgen, bezweifelt Gebel.<br />
(2002: 4; zu Neolithisierungs-Theorien siehe auch Bartl, 2004: 29ff)