Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings
Göbekli Tepe PDF - Lars Hennings
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74 Der Tempel als Friedenssymbol?<br />
Tolpatsch kann vermutlich so alt werden wie er will, ohne je wirklich respektiert zu<br />
werden. Dann wird Ansehen zum Antrieb kultureller Entwicklung in einfachen<br />
Gemeinschaften von WildbeuterInnen. Immer natürlich im Rahmen des von den<br />
Geistwesen Erlaubten und insofern streng konservativ, neuerungsfeindlich, doch die<br />
Nebenfolgen des Strebens nach Ansehen schaffen fast unbemerkt neue Qualitäten.<br />
Malinowski wendet sich gegen das Vorurteil, die „Wilden“ seien – zumal bei Überfluß –<br />
faul oder dergleichen. Die Leute auf den Trobriand-Inseln horten ihre Yams nicht nur gut<br />
sichtbar, weil es sich um Nahrung handele, sondern „weil sie gerne ihren<br />
Lebensmittelbesitz zur Schau stellen“. (1979: 209) Das gelte auch für andere Produkte:<br />
„Sie arbeiten nicht unter dem Druck der Notwendigkeit oder um ihren Lebensunterhalt<br />
zu bestreiten, sondern geleitet von Talent und Phantasie, mit einem hoch entwickelten<br />
Sinn und großer Freude an ihrer Kunst, die sie oft als Ergebnis magischer Inspiration<br />
begreifen. Dies gilt besonders für jene unter ihnen, die Gegenstände von hohem Wert<br />
herstellen; sie alle sind gute Handwerker und lieben ihre Arbeit“. (213) Denkt jemand<br />
dabei nicht an die Höhlenmalereien? Und das Ergebnis ist: Ansehen, ob gewollt oder<br />
nicht. Mit Hilfe eines solchen Prozesses, Ansehen zu gewinnen, ließen sich jedenfalls<br />
analytisch zwei gegensätzliche Phänomene verbinden, zum einen der strukturelle<br />
Stillstand im Sinne der Ahnen und zum anderen der real vorkommende soziale Wandel,<br />
der zum Tempelbau führte; mit oder ohne Eiszeit als besonderem Antrieb. Was auch<br />
immer am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> geschah, das Prinzip einer solchen Friedenssymbolik ist in vielen<br />
Formen vorstellbar.<br />
Gentilgemeinschaft?<br />
Es ist schwer vorstellbar, weshalb eine freie Gemeinschaft, deren wildbeuterische<br />
Gruppen nur durch eine gemeinsame Sprache verbunden sind und die sich vielleicht<br />
einmal jährlich zusammen finden, einen solchen Aufwand wie am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> betrieben<br />
hat. Nur für relativ diffuse geistige Mächte der Natur und an sie angepaßte Magie? Ein<br />
Tempel des Donners? Eher nicht, oder? Als Gabe für einen Häuptling, wäre eine andere<br />
Möglichkeit, die mit dem sozialen Zusammenhang des Stammes verbunden ist. Der große<br />
Wetterumschwung durch das Ende der Eiszeit käme auch in Betracht. Und wie konnte der<br />
Bau ausgeführt werden? Wie sollte mit jenen frühen Geistwesen kommuniziert werden, es<br />
bedurfte ja nicht nur des Gebets für oder zum Schutz vor etwas; hier waren konkrete<br />
Zustimmungen nötig: vom Steingeist zum Zerschlagen des Felsens, vom Grasgeist zum<br />
Zupflastern von Räumen... Da sind ein paar Kommandos und klare Antworten von<br />
GöttInnen und Häuptlingen oder sogar Priesterkönigen doch plausibler. Die Existenz von<br />
Königen würde womöglich Herrschaft sogar über fremde Stämme bedeuten, oder aber<br />
einen Stammesbund, der wiederum egalitär vorstellbar ist. Für den Bau eines solchen<br />
Kultbaus, wenn er freiwillig geschah, ist jedenfalls nicht nur eine große, sondern auch<br />
verbundene Bevölkerung erwartbar, eine Kultgemeinschaft mit sozialer Organisation, die<br />
sich vielleicht aus dem Prozeß des Ansehensgewinns ergab! Mit einer Organisierung wie<br />
bei den Mbuti, !-Kung oder Hazda scheint eine solche Leistung eher nicht denkbar; ein<br />
paar Netze zur Jagd aufzuspannen und Wild hinein zu treiben, ist doch etwas anderes.<br />
Welche Gemeinschaft konnte den Kultbau am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> errichten? Nur hier und da –<br />
so eine Lesart – gab es neben erstem Landbau saisonale Rundhütten, die in den Boden<br />
eingetieft und mit einem Windschutz oder Dach aus Strauchwerk und Fellen versehen<br />
sind, noch keine dauerhaften Gehöfte oder Dörfer auf Basis domestizierter Pflanzen und<br />
Tiere. Andere sehen bei komplexen WildbeuterInnen schon verbreitete dauerhafte<br />
Seßhaftigkeit, für die es aber nicht genügend Belege bisher gibt. Doch dann bauen diese<br />
Neuerungsfeinde urplötzlich ein für jene Zeit riesiges Heiligtum. Ein materieller Nuzten<br />
fürs Alltagsleben darf ausgeschlossen werden, aber als Machtdemonstration ist ein Sinn<br />
denkbar. Und als eine Geste der Demut gegenüber den Wettergeistern, insofern doch ein<br />
Donnerschlag. In dieser Kenntnislage drängt sich durch diesen Bau vermittelt ein<br />
besonderer sozialer Wandel auf, ein Übergang in eine neue Lebensweise, aber in welche?<br />
Die Kenntnis zur Errichtung von größeren Gebäuden könnte hier herausgestrichen sein,<br />
um vor allem die GöttInnen zu beeindrucken, die unter dem Druck des sozialen Wandels<br />
selbst erst erfunden wurden. Wenn es denn eine soziale Transformation im Sinne eines<br />
sich selbst verändernden Prozesses war.<br />
Um die 1.000 Jahre später entstanden in Çayönü und Nevalı Çori einzelne<br />
Tempelräume, von denen es am <strong>Göbekli</strong> <strong>Tepe</strong> in der ältesten Grabungsschicht (bisher)<br />
vier gibt; ob gleichzeitig errichtet ist unklar. In jenen Orten waren weitere Gebäude aus