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Gewalt, Rassismus und Zivilcourage unter Kindern und Jugendlichen

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18 49/2002 epd-Dokumentation<br />

Man kann das SED-Regime nicht mit dem der<br />

Nazis gleichstellen. Aber es gab autoritäre Traditionslinien<br />

<strong>und</strong> Parallelen. Mit dem fatalen Effekt,<br />

dass Teile der Bevölkerung autoritär deformiert<br />

sind. Mental autoritär deformiert. Das gibt es im<br />

Westen auch, aber in Ostdeutschland wurde Befehlen<br />

<strong>und</strong> Gehorchen weiterhin als Lebensmaxime<br />

wahrgenommen <strong>und</strong> verinnerlicht.<br />

Ein beachtlicher Teil der politischen Klasse des<br />

Westens ist allerdings mitverantwortlich für die<br />

Kontinuität autoritärer Deformation nach der<br />

Wende. Ein Teil der politischen Klasse, allen voran<br />

der damalige B<strong>und</strong>eskanzler Helmut Kohl, hat<br />

den Ostdeutschen versprochen, es gebe sozusagen<br />

per Knopfdruck blühende Landschaften. Das<br />

haben viele Ostdeutsche auch hören wollen <strong>und</strong><br />

auch gerne geglaubt. Für viele waren die blühenden<br />

Landschaften identisch mit der neuen Demokratie.<br />

Doch als die blühenden Landschaften<br />

nicht per Knopfdruck kamen, zweifelten viele<br />

Ostdeutschen automatisch auch an der Demokratie.<br />

Als die Arbeitsplatze nach der Währungsunion<br />

massenhaft wegbrachen, verflüchtigte sich oft<br />

auch der Glaube an das politische System der<br />

alten B<strong>und</strong>esrepublik. Diese Demokratieskepsis<br />

erlebe ich in weiten Teilen der Bevölkerung im<br />

Osten bis heute.<br />

Ich glaube nicht, dass Helmut Kohl mit seinen<br />

Parolen die Ostdeutschen mutwillig täuschen<br />

wollte. Nach meiner Meinung war Kohl gar nicht<br />

in der Lage, anders zu reden <strong>und</strong> zu handeln.<br />

Denn die Mehrheit der Westdeutschen hat sich<br />

auch erst mit der Demokratie arrangiert, als in<br />

den 50er Jahren das Wirtschaftsw<strong>und</strong>er einsetzte.<br />

Demokratie um ihrer selbst willen wurde erst im<br />

Zuge der 68er Revolte spürbar, erfahrbar. Aber<br />

für die Generation Helmut Kohl blieb Demokratie<br />

im Wesentlichen gleichbedeutend mit Wohlstand<br />

<strong>und</strong> Wirtschaftsw<strong>und</strong>er. Deshalb hat Kohl dieses<br />

verkürzte Demokratie-Modell ganz selbstverständlich<br />

den Ostdeutschen präsentiert. In dem<br />

Glauben, die Ostdeutschen werden automatisch<br />

Demokratie lernen, wenn sie mit dem westdeutschen<br />

Wohlstand beglückt werden. Das hat nicht<br />

funktioniert <strong>und</strong> konnte nicht funktionieren.<br />

Dieser verkürzte Demokratiebegriff ist mit eine<br />

der wesentlichen Ursachen dafür, dass weite Teile<br />

der Bevölkerung demokratieskeptisch blieben <strong>und</strong><br />

dem Nachwuchs auch weiterhin das alte, autoritär<br />

geprägte <strong>und</strong> latent bis offen rassistische<br />

Weltbild vermitteln. Es ist dann schon weniger<br />

erstaunlich, dass sich <strong>Rassismus</strong> <strong>und</strong> Rechtsextremismus<br />

weit stärker in den Köpfen der ostdeutschen<br />

Jugend festgesetzt haben, als das im<br />

Westen mit seinem 40-jährigen Demokratievorsprung<br />

der Fall ist.<br />

In Brandenburg glaubt mehr als die Hälfte der<br />

<strong>Jugendlichen</strong>, es gäbe viel zu viele Ausländer in<br />

ihrem Land. Allerdings ist der Ausländeranteil in<br />

Brandenburg mit knapp 2% erheblich niedriger<br />

als beispielsweise in Nordrhein-Westfalen. Aber<br />

dieses Missverhältnis ist aus den Köpfen nicht<br />

herauszubekommen. Ich möchte Ihnen anhand<br />

von zwei Beispielen kurz die Folgen schildern.<br />

Ich bekam vor einiger Zeit einen Anruf aus Hennigsdorf,<br />

das ist ein kleiner Ort nördlich von Berlin.<br />

Die Caritas bat mich zu kommen, weil mehrere<br />

Flüchtlinge von Rechten überfallen worden<br />

waren. Ich bin dann dort hingefahren. Die<br />

Flüchtlinge saßen an einem größeren ovalen<br />

Tisch <strong>und</strong> jeder erzählte die leider übliche Geschichte:<br />

Schläge, Tritte mit Springerstiefeln <strong>und</strong><br />

so weiter. Zum Schluss meldete sich ein Asylbewerber<br />

noch einmal, ein Afrikaner.<br />

Der Afrikaner erzählte, er habe sich an einem<br />

Frühlingstag in einen Park gesetzt <strong>und</strong> wollte die<br />

Frühlingssonne genießen, in der Nahe von einem<br />

Spielplatz. Dann kam eine Gruppe von kleinen<br />

<strong>Kindern</strong>, mit zwei Frauen. Ein Kind fing an zu<br />

weinen, als es den dunkelhäutigen Mann da sitzen<br />

sah. Vielleicht waren dem Kind irgendwelche<br />

Märchen vom schwarzen Mann erzählt worden.<br />

Jedenfalls kam eine der beiden Frauen empört<br />

zu dem Afrikaner <strong>und</strong> verlangte ultimativ, er<br />

habe zu verschwinden. Der Afrikaner sagt, er<br />

habe gar nichts getan <strong>und</strong> wollte nur die Sonne<br />

genießen. Es gab Tumult, es kamen Passanten<br />

hinzu, keiner hat dem Afrikaner geholfen. Die<br />

Lage wurde für ihn so bedrohlich, dass er aufgestanden<br />

ist <strong>und</strong> sich dann in seiner Wohnung ans<br />

Küchenfenster gesetzt hat, um sich von der Sonne<br />

bescheinen zu lassen.<br />

Auch das nächste Beispiel verdeutlicht die Welt<strong>unter</strong>gangsmentalität<br />

der Neonazis. Sie erinnern<br />

sich vielleicht an den so genannten Hetzjagdprozess,<br />

der im letzten Jahr in Cottbus zu Ende gegangen<br />

ist. Angeklagt waren mehrere junge Männer<br />

aus Guben, einer Stadt in Ostbrandenburg.<br />

Der Mop hatte im Februar 1999 einen Algerier zu<br />

Tode gehetzt. Der Asylbewerber war in seiner<br />

Panik in eine Glastür gesprungen, riss sich eine<br />

Schlagader auf <strong>und</strong> verblutete im Treppenhaus.<br />

Einer der Verteidiger in diesem Prozess, ein bekannter<br />

Neonazi <strong>und</strong> Szene-Anführer, wollte mit<br />

mir sprechen. Im Verlaufe der Unterhaltung<br />

meinte er, in »fünf Jahren ist hier der große Aufstand«.<br />

Ich habe geantwortet, dann käme für

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