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Essay
Essay von Prof. Dr. Leonid Luks
Dass die seit 1945 offen gebliebene deutsche Frage 44 Jahre
später zur allgemeinen Überraschung relativ glimpflich und
friedlich gelöst werden konnte, stellt eine Art „politisches
Wunder“ dar, dessen Zustandekommen bis heute das deutsch-russische
Verhältnis prägt. Man ist sich in Ost und West darüber einig,
dass Michail Gorbatschow der wohl wichtigste Urheber dieses
„Wunders“ war, worauf seine beispiellose Popularität in Deutschland
basiert. In den sogenannten national-patriotischen Kreisen
Russlands hingegen gilt Gorbatschow als Zerstörer des zweitmächtigsten
Reiches der Erde. Er gehört zu den unpopulärsten
Politikern im Lande. Bei den russischen Präsidentschaftswahlen
im Jahre 1996 erhielt Gorbatschow zum Beispiel 0,5 Prozent der
Stimmen. Diese Ablehnung Gorbatschows dehnt sich aber keines -
wegs auf Deutschland aus, also auf das Land, das in erster Linie
dem letzten Generalsekretär der KPdSU seine Einheit verdankt.
So hielten zum Beispiel 1990 59 Prozent der befragten Russen die
deutsche Wiedervereinigung für rechtmäßig und bei der 16 Jahre
später gestellten Frage, welches Land Russland gegenüber am
freundlichsten gesinnt sei, fand sich Deutschland sogar an zweiter
Stelle wieder … nach Weißrussland. Im gleichen Jahr fragte das
Allrussische Zentrum zur Erforschung der Öffentlichen Meinung
(VCIOM), welches Land als „ewiger Feind Russlands“ bezeichnet
werden könne. Deutschland wurde lediglich von einem Prozent
der Befragten in diese Kategorie eingeordnet. Die USA hingegen,
also ein Land, das nie einen Krieg gegen Russland geführt hatte,
wenn man von der Intervention zugunsten der „weißen“ Armeen
während des russischen Bürgerkrieges absieht, wurde von 45 Prozent
der Befragten als der „ewige Feind Russlands“ bezeichnet.
Lauter Paradoxien, die in einem kurzen Beitrag nicht erschöpfend
behandelt werden können. Ich möchte mich deshalb nur auf die
Ereignisse von 1989/90 konzentrieren, die im Prozess der deutschrussischen
Versöhnung nach dem letzten Krieg eine entscheidende
Rolle gespielt haben.
Der Schlüssel für die deutsche Einheit war nach 1945 bekanntlich
im Kreml deponiert. Warum gab aber die Moskauer Führung diesen
Schlüssel, den sie jahrzehntelang als kostbares Gut gehütet
hatte, letztendlich aus der Hand? Um diese Frage zu beantworten,
muss man sich etwas genauer mit der Person Gorbatschows und
mit seinem Programm, dem sogenannten „neuen Denken“, befassen.
Dabei muss man sofort darauf hinweisen, dass dieses „neue
Denken“ weder die deutsche Einheit noch die Auflösung des Ostblocks
noch den Verzicht auf die führende Rolle der Kommunistischen
Parteien postulierte. Im Gegenteil, Gorbatschows Ziel war
lediglich die Revitalisierung der kommunistischen Regime in den
12 5/2012 ACADEMIA
Michail Gorbatschow
Das Zeitfenster zur Überwindung der
Utilitas rures praemuniet pessimus bellus suis. Adlaudabilis chirographi
comiter iocari gulosus cathedras, etiam zothecas agnascor plane adlaudabilis
fiducias. Pretosius chirographi
Staaten des Ostblocks – auch in der DDR –, die Anpassung dieser
Regime an die Anforderungen der Moderne. Als aktiver Staatsmann
blieb Gorbatschow der sogenannten „sozialistischen Wahl“
bis zuletzt treu. Dennoch enthielt das „neue Denken“ des Urhebers
der Perestrojka von Anfang an Elemente, die beinahe zwangsläufig
zu den von Gorbatschow keineswegs gewünschten Folgen führen
mussten.
Dies betraf zum Beispiel den im Grunde revolutionären Entschluss
Gorbatschows, direkt an die Öffentlichkeit zu appellieren.
Sie sollte einen permanenten Druck auf den reformunwilligen
Parteiapparat ausüben, ihn kontrollieren. Im Juni 1986 erklärte
der Generalsekretär bei einem Treffen mit den sowjetischen Filmschaffenden:
„Zwischen dem Volk, das nach Veränderungen
strebt, das davon träumt, und der Staatsführung befindet sich eine
Schicht der Verwaltung, ... die keine Umgestaltungen will.“