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Aus Schreien wurde Vertrauen
Heumann, Hans-Dieter: Hans-Dietrich Genscher.
Die Biographie, Paderborn 2011, 346 Seiten,
24,90 Euro, ISBN 978-3-50-677037-0.
„Genscher hatte seinen engsten und langjährigen
Mitarbeiter Kinkel von Anfang
an als seinen Nachfolger ausersehen.“ So
der Diplomat Hans-Dieter Heumann, der
sein Buch über den Menschen, Politiker
und Staatsmann Hans-Dietrich Genscher
selbstbewusst „die“ Biographie des Ministers
nennt, der seit Gründung des Auswärtigen
Amtes 1871 mit einer Dienstzeit von 18 Jahren das Haus
am längsten geführt hat.
Das bis heute andauernde Vertrauensverhältnis zwischen Genscher
und Cbr Klaus Kinkel (Gu) begann mit einem handfesten
Streit: Der damalige Referatsleiter im Innenministerium hatte das
Schreien seines Ministers genauso lautstark beantwortet. Das imponierte
Genscher und Kinkel wurde Leiter des Ministerbüros.
Ein Foto zeigt die beiden am Schreibtisch. Auf Bitten Genschers
kam Kinkel auch 1972 während der dramatischen Ereignisse bei
der Olympiade nach München. Genscher bot sich an Stelle der
israelischen Sportler als Geisel an. Kinkel: „Ich hatte ihm gesagt…
es könnte sein Ende sein, wirklich“ (S.135).
Später holte Genscher Klaus Kinkel als Leiter des Planungsstabes ins
Auswärtige Amt nach. 1982 „will Kinkel Genscher zur Beendigung
der Koalition (von Schmidt zu Kohl) getrieben haben, sehr stark sogar“
(S.125). Kinkel beriet seinen früheren Minister nicht zuletzt
bei den intensiven Verhandlungen über die deutsche Einigung, die
Genscher bis hin zu gesundheitlichen Störungen belasteten.
„… es könnte
sein Ende sein,
wirklich“
Dass Genschers Rolle
dabei bis heute nicht genügend
wahrgenommen
wird, liegt nach Meinung
Heumanns an der folgenschweren
Entscheidung
des „damaligen Außenministers
und seines
Nachfolgers Kinkel, das Archivgesetz zu respektieren und die Akten
des Auswärtigen Amtes nicht zugänglich zu machen“ (S.225).
Helmut Kohl und das Bundeskanzleramt verhielten sich anders.
Cbr Klaus Kinkel gehörte zu den über 30 in- und ausländischen Zeitzeugen,
die Heumann in längeren Interviews über Leben und Wirken
des langjährigen Außenministers befragte. Herangezogen wurde u.a.
auch die von Kinkel herausgegebene Festschrift zu Genschers 70.
Geburtstag. Etwas salopp gesagt, stellt Heumann – einst Referent bei
der FDP-Fraktion – Helmut Kohl in den Schatten Hans-Dietrich
Genschers, der schon nach seiner Flucht aus Mitteldeutschland 1952
die Wiedervereinigung stets fest im Blick gehabt habe. Michail Gorbatschow
dazu am 30. September 2009 im Gespräch mit Autor Heu -
mann: Genscher hat bei der Entwicklung unserer Beziehungen „eine
gewaltige Rolle gespielt“ (S.188). Am Rande sei noch vermerkt, dass
Thomas Gottschalk (TsM) – wie es in dem Buch heißt – zu den ganz
wenigen Duzfreunden Genschers gehört. Norbert Matern (TsK)
Welterkundung als Passion
Bücher
Mühlen, Alexander (BvBo): Jenseits von Aden,
Dreilinden Verlag Berlin 2012, 320 S., 19,90 Euro,
portofrei unter bestellung@dreilinden-verlag.de.
„Eine offensichtlich positive Lebenshaltung
der Menschen“, die im Kontrast
zum nicht überall ansprechenden Umfeld
in der Stadt Ghaza stehe, so schätzt
der Diplomat Alexander Mühlen (BvBo)
anlässlich einer Dienstreise 1995 die
Lage ein. Und vertieft sich im Gespräch
mit Palästinensern über die Infrastruktur
und deutsche Wirtschaftshilfe. Ein multinationales Seminar,
wozu im Diplomatengepäck auch eine Videoausrüstung komplizierte
Grenzabfertigungen passieren musste, war der Reiseanlass.
Noch im Rückblick Jahre später vermag der Autor in seinen Erinnerungen
„Jenseits von Aden. Als Diplomat um die Welt“ darzulegen,
dass seine Analysen ihre bisweilen traurige Aktualität bis
heute bewahrt haben. Was auch für den Jemen, einem frühen Posten,
gilt. Nicht alle Versetzungen führen an den Traumstrand, der
Beruf des Gesandten führt regelmäßig auf „Härteposten“.
Diplomat Mühlen hatte immer seine Frau zur Seite. Sie or -
ganisierte das Familienleben, dessen „normaler Alltag“ oft neu
ausgehandelt werden musste. Diplomatischer Glamour, der für
Außenstehende mit Begegnungen und Begebenheiten in Ver -
bindung gebracht wird, hat aus der Innensicht etwas Nüchternes:
Selbst eine geheime Mission ist eine Dienstsache, die gewitzt
und mit nötiger Diziplin abgewickelt wird. Für die Begleitung
einer Delegation von Bundestagsabgeordneten nach Mittelasien
konnte dann während sieben Tagen aus reicher Erfahrung
geschöpft werden. Seine Überschau und Routine, davon reicht
Mühlen nach seinem Eintritt in den Ruhestand weiter: In einem
Programm für Jungdiplomaten aus Afrika. Im weiten Bogen
von 315 Seiten werden offizielle Mission und private Welter -
kundung ausgebreitet. is
ACADEMIA 5/2012 71