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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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<strong>und</strong> jede Wissenschaft, die durch die Rede wirkt, wenn sie als Kunst um <strong>ihre</strong>r<br />

selbst willen geübt wird“, Dichtung sei <strong>und</strong> „wenn sie den höchsten Gipfel er-<br />

reicht, erscheint [sie] als Poesie“. 523 <strong>Die</strong>se Aufwertung der Rolle der Dichtung<br />

wird durch Ludovicos folgende Anmerkung weiter verstärkt: „Und jede, die auch<br />

nicht in den Worten der Sprache ihr Wesen treibt, hat einen unsichtbaren Geist,<br />

<strong>und</strong> der ist Poesie“. 524 <strong>Die</strong> Poesie stellt sich also als absolutes Zeichen heraus, das<br />

keine Trennung zwischen wissenschaftlicher <strong>und</strong> ästhetischer Wahrheit kennt <strong>und</strong><br />

auf die Harmonie des Realen mit dem Idealen abzielt. <strong>Die</strong> magische Textur der<br />

Zeichen kann nur mittels der Poesie in <strong>ihre</strong>m geheimen Sinn begriffen werden; in-<br />

sofern sind die Schriftsteller eingeweihte Schriftk<strong>und</strong>ige, denen sich die in der<br />

Dichtung dargestellte harmonische <strong>und</strong> sinnvolle Ordnung der Dinge erschließt.<br />

Im Wesen unhistorisch, basiert hier die Poesie auf dem Naturhaften <strong>und</strong> zieht <strong>ihre</strong><br />

Wirkung aus der magischen 525 Kraft der Natur <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>n heiligen Mysterien. Im<br />

Anschluß an dieses Gespräch hält Ludovico eine Rede über die unausweichliche<br />

Notwendigkeit der Schöpfung einer neuen Mythologie für die gespaltene <strong>und</strong> zer-<br />

rissene Gegenwart. Unübersehbar ist das kritische Verhältnis zur Französischen<br />

Revolution, die allen Erwartungen zum Trotz keine Verwirklichung aufkläreri-<br />

scher Utopien <strong>und</strong> Palingenesis der Welt gewesen ist, sondern eine Art von Alp-<br />

traum der Vernunft, dessen schreckliche Konsequenzen utopisch zu überbieten<br />

sind, <strong>und</strong> zwar durch die Neue Mythologie. Schon am Anfang seiner Rede bedau-<br />

ert Ludovico das Fehlen eines ,Mittelpunkts‘ in der zeitgenössischen Dichtung,<br />

wie es die Mythologie für die Alten war, <strong>und</strong> alles Wesentliche, worin<br />

die moderne Dichtkunst der antiken nachsteht, läßt sich in die Worte<br />

zusammenfassen: Wir haben keine Mythologie. Aber setze ich hinzu,<br />

wir sind nahe daran eine zu erhalten, oder vielmehr es wird Zeit, daß<br />

wir ernsthaft dazu mitwirken sollen, eine hervorzubringen. 526<br />

Im Gegenteil zur allgemeinen Geringschätzung der Mythologie im vorherge-<br />

henden Jahrh<strong>und</strong>ert wird ihr hier das aufgetragen, woran die Revolution geschei-<br />

tert ist, nämlich den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens zu schaffen. Sie ist<br />

523 KA II, S. 304.<br />

524 Ebenda.<br />

525 Nach Ludovico (Schelling?) ist die Poesie „der edelste Zweig der Magie, <strong>und</strong> zur<br />

Magie kann der isolierte Mensch sich nicht erheben; aber wo irgend Menschentrieb<br />

durch Menschengeist verb<strong>und</strong>en zusammenwirkt, da regt sich magische Kraft.“ Ebenda,<br />

S. 310.<br />

526 Ebenda, S. 312. Hervorhebungen von mir.

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