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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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195<br />

Kulten. Dem rätselhaften griechischen Gott, dessen Wesen aus Lebenskraft <strong>und</strong><br />

zerstörerischem Drang besteht, hatte Creuzer bereits 1807 574 eine auf Latein ver-<br />

faßte Schrift Dionysos sive commentationes academicae de rerum Bacchicarum<br />

Orphicarumque originibus et causis gewidmet, in welcher die Ursprünge der grie-<br />

chischen Dionysosreligion <strong>und</strong> der Mysterienkulte aus dem Orient, <strong>und</strong> zwar aus<br />

Indien <strong>und</strong> Ägypten, hergeleitet werden. <strong>Die</strong>se geläufigen romantischen Vorstel-<br />

lungen 575 wurzeln in der orphisch-pythagoreischen Überlieferung 576 antiker My-<br />

thologie <strong>und</strong> in der Ideenlehre des spätantiken Neuplatonismus sowie in deren Re-<br />

zeption durch den Florentiner Neuplatonismus, auf den Creuzer, aber auch<br />

Schelling explizit zurückgreifen. Ebenfalls 1807 erschienen auch die Ansichten<br />

von der <strong>Nachtseite</strong> der Naturwissenschaften Gotthilf Heinrich Schuberts, dessen<br />

mesmerische <strong>und</strong> sonnambulische Experimente Kleist zutiefst beeindruckt <strong>und</strong><br />

fasziniert hatten. Hier findet man ähnliche Motive <strong>und</strong> Vorstellungen, wie zum<br />

Beispiel den orientalischen Ursprung der dionysischen Mysterien, die als Aus-<br />

druck der menschlichen Sehnsucht nach der Vereinigung mit der äußeren Welt,<br />

als Vereinigung des Zerstörenden <strong>und</strong> Zeugenden, des Todes <strong>und</strong> der Liebe 577 ge-<br />

feiert werden. <strong>Die</strong> indische Mythologie habe schon im Gott Shiva diese Einheit<br />

zweier entgegengesetzter Pole vorgeprägt <strong>und</strong> sie durch die gleiche phallische<br />

574 Zu Creuzers althistorischen Werken vor den Mythologie-Studien s. die positive<br />

Darstellung von A. Momigliano, „Friedrich Creuzer and Greek Historiography“, in:<br />

Ders., Studies in Historiography, 2. Auflage, London 1969, S. 75-90.<br />

575 Vgl. M.-M. Münch, La ‘Simbolique’ de Friedrich Creuzer, Paris 1976, S. 23, zur<br />

Bedeutung des dionysischen Kultes in der Romantik: „Celui-ci est le plus romantique des<br />

cultes grecs. Il l’est par ses origines orientales, ses violences, ses contrastes, son inspiration<br />

fulgurante et la richesse symbolique de son mythe.“ Zum Thema s. M. Olender, Les<br />

langues du paradis. Aryens et Sémites: un couple providentiel, Paris 1989, besonders S.<br />

13-74.<br />

576 Daß verblüffende Parallelen zwischen Orphik <strong>und</strong> orientalischer, insbesondere<br />

mesopotamischer Mythologie bestehen, darf mit dem Argument der erst spätantiken<br />

Überlieferung der dionysisch-orphischen Lehre nicht einfach abgetan werden. Es liegt<br />

näher, „eine kontinuierliche Tradition über die Sukzession der <br />

von der Überlieferung wie von den innerlich notwendigen Zusammenhängen her anzunehmen“,<br />

denn „Kultur wächst nicht aus eigener Kraft in stiller Verborgenheit, sie wird<br />

bewegt durch Lerneifer, Neugier, Aufnahmewilligkeit gerade im Kontakt mit dem Anderen,<br />

dem Fremden; so hat sie besonders in einer Umbruchszeit wie der orientalisierenden<br />

Epoche das achte Jahrh<strong>und</strong>ert v. Chr. <strong>ihre</strong> Chance.“ So Walter Burkert in seinem wichtigen<br />

Buch über die orientalischen Ursprünge der griechischen Kultur, <strong>Die</strong> orientalisierende<br />

Epoche in der griechischen Religion <strong>und</strong> Literatur, Heidelberg 1984 Sitzungsberichte<br />

der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische<br />

Klasse, S. 117.<br />

577 G. H. Schubert, Ansichten von der <strong>Nachtseite</strong> der Naturwissenschaft, Dresden

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