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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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<strong>Die</strong> Verkündung einer neuen Mythologie <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r Notwendigkeit für den dü-<br />

steren Zustand der Gegenwart im sogenannten Älteste[n] Systemprogramm des<br />

deutschen Idealismus markiert eine weitere Phase der Beschäftigung Schellings<br />

mit dem Mythos. Auf das Programm dieser Schrift ist im Zusammenhang mit<br />

Hölderlin schon eingegangen worden. An dieser Stelle genügt es deshalb, ledig-<br />

lich an die Forderung nach einer neuen Mythologie <strong>und</strong> an die Verkündigung ei-<br />

nes neuen, goldenen Zeitalters der Ästhetik zu erinnern, die die zentralen Punkte<br />

dieses Programms darstellen. „Das ist die ästhetische Revolution als soziale Uto-<br />

pie, das goldene Zeitalter des ästhetischen Sinns als Verwirklichung der Französi-<br />

schen Revolution.“ 539 Dabei sind die Berührungspunkte mit Schlegels Rede über<br />

die Mythologie unübersehbar. <strong>Die</strong> Kunst bleibt hier wie dort der einzige Bereich,<br />

in welchem der Mensch die ihm sonst in der Geschichte unerreichbare Autonomie<br />

zu erlangen vermag. Kunst ist die selbständige außergeschichtliche Tätigkeit<br />

schlechthin, welche die Herrschaft der funktionalen Vernunft auf subtile Weise<br />

unterminiert, <strong>und</strong> sich auf Instanzen wie Gott oder Natur beruft, Instanzen also,<br />

die nicht auf die Vernunft reduziert werden können. „Der im Kern ästhetische An-<br />

satz Schellings ruft Natur <strong>und</strong> Gott als rettende Wirklichkeiten“, so Odo Mar-<br />

quard, aber gerade deswegen kommt der Mythologie bei Schelling eine zentrale<br />

Position zu, „weil er um der ästhetischen Autonomie willen sich nicht entschlie-<br />

ßen kann, völlig auf Natur <strong>und</strong> völlig auf Gott zu setzen. Schellings ,vermeidendes<br />

Ergreifen‘ von Natur <strong>und</strong> Gott etabliert die Mythologie <strong>und</strong> macht für ihn <strong>ihre</strong><br />

Philosophie zentral.“ 540 <strong>Die</strong> Philosophie der Kunst (1802-1803) bekräftigt jenen<br />

Zusammenhang zwischen poetologischem Diskurs <strong>und</strong> Förderung einer neuen<br />

Mythologie, der auch sonst für die Zeit charakteristisch ist. Der Gegensatz zwi-<br />

schen antiker <strong>und</strong> moderner Dichtung wird auch auf die Mythologie übertragen.<br />

<strong>Die</strong> antike Mythologie zeichne sich durch den Naturbegriff aus <strong>und</strong> sei ein Orga-<br />

nismus. Schelling geht noch einen Schritt weiter <strong>und</strong> unterscheidet zwischen My-<br />

stik <strong>und</strong> Mythologie innerhalb der <strong>Antike</strong>, wobei Mystik alles sei, was sich un-<br />

mittelbar auf das Unendliche beziehe, während die Mythologie aus der<br />

Vermengung von Endlichem <strong>und</strong> Unendlichem hervorgehe. Demnach seien die<br />

539 H. Gockel, a. a. O., S. 313.<br />

540 O. Marquard, „Zur Funktion der Mythologiephilosophie bei Schelling“, in: Manfred<br />

Fuhrmann (Hrsg.), a. a. O., S. 262.

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