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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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ligionen wirksam ist, wenn es auch mit verschiedenen Anreden <strong>und</strong> Bezeichnun-<br />

gen angerufen wird.<br />

In seinem Spätwerk unterscheidet Schelling drei Potenzen, 557 Stadien der<br />

Entwicklung des Gottesbewußtseins: <strong>Antike</strong> Mythologie, christliche Offenbarung<br />

<strong>und</strong> philosophische Religion, welche die ersten beiden Stufen, nämlich Mytholo-<br />

gie <strong>und</strong> Offenbarung philosophisch vereinigt, ohne deren historische Eigenstän-<br />

digkeit zu bestreiten. Um Monotheismus <strong>und</strong> Polytheismus integrieren zu können,<br />

geht Schelling davon aus, daß Gott der All-Eine ist, was impliziert, daß er Einer<br />

<strong>und</strong> Mehrere sein kann. Das in Gott befindliche Existenzpotenzial bedarf keinerlei<br />

Verwirklichung, aber Gott entscheidet frei, sich durch einen freiwilligen Akt mit-<br />

zuteilen <strong>und</strong> in das menschliche Bewußtsein zu treten. <strong>Die</strong> Entscheidung zu exi-<br />

stieren bedeutet gleichsam die Unterwerfung Gottes unter die Bedingungen der<br />

Existenz <strong>und</strong> unter die geschichtliche Stufenfolge der Potenzen. Erst dadurch wird<br />

die Weltschöpfung möglich <strong>und</strong> somit das Eintreten des kosmogonischen Prozes-<br />

ses, welcher in der Schöpfung des Menschen gipfelt. Da der Mensch sich durch<br />

die Urtat des Bewußtseins (Sündenfall) dagegen wehrt, dem Willen Gottes gemäß<br />

zu sein, entsteht der mythologische Prozeß als deren Folge. Er besteht in der<br />

„Wiedererregung der kosmogonischen Potenzen im menschlichen Bewußtsein,<br />

deren Kampf im Bewußtsein eine der Natur(geschichte) korrespondierende<br />

Struktur hat: Mythologie ist die Natur(geschichte) des Bewußtseins“. 558<br />

<strong>Die</strong>se Theorie wird unter Berücksichtigung der ägyptischen, indischen <strong>und</strong><br />

griechischen Mythologien erläutert, weil sie alle insgesamt einen ähnlichen Ver-<br />

lauf von einem ursprünglichen Monotheismus über den Polytheismus zu einem<br />

richtigen Monotheismus aufweisen. Schelling bezeichnet jedes Stadium dieser<br />

Selbstidentifizierung des absoluten Geistes im vorchristlichen Bewußtsein mit<br />

Epitheta aus der dionysischen Sphäre, welche explizit Dionysos mit dem werden-<br />

den Gott im theogonischen Prozess identifizieren. Als Erscheinung des dreifachen<br />

Dionysos (SW II/3, S. 460-490), dem eine dreifache Demeter als weibliches Pen-<br />

557 „Es sind ,nicht bloß vorgestellte Potenzen‘, sondern die ,reinen erschaffenden<br />

Potenzen, deren ursprüngliches Erzeugniß das Bewußtseyn selbst ist‘. Es ergibt sich somit<br />

folgendes: <strong>Die</strong> schöpferischen Potenzen der Natur sind zugleich die Potenzen, welche<br />

das Bewußtsein erzeugen <strong>und</strong> in ihm in Form des mythologischen Prozesses wirksam<br />

werden.“ Ebenda, S. 163.<br />

558 Ebenda, S. 164.

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