07.10.2013 Aufrufe

III. Die Antike und ihre Nachtseite

III. Die Antike und ihre Nachtseite

III. Die Antike und ihre Nachtseite

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

233<br />

die heiligen Mysterien der Natur aus, um die Unausweichlichkeit der Neubegrün-<br />

dung einer Mythologie für die Gegenwart nachdrücklich zu betonen. <strong>Die</strong>se Forde-<br />

rung wird durch einen utopischen <strong>und</strong> palingenetischen Elan durchdrungen: <strong>Die</strong><br />

„Neue Mythologie“ soll die Aufgabe verwirklichen, an der die Französische Re-<br />

volution gescheitert ist, nämlich einen Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens<br />

zu schaffen. Es geht nicht mehr bloß um die Reprise <strong>und</strong> Anwendung antiker grie-<br />

chischer Mythologeme in der Moderne, sondern um die Schöpfung eines neuen<br />

Mythos, welcher wie der griechische die Ganzheit einer Bildung <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

symbolisiert <strong>und</strong> eine legitimierende Funktion übernimmt. Zu diesem Zweck kön-<br />

nen nicht nur die griechischen, sondern auch die orientalischen Mythologien, die<br />

ebenso „Kunstwerke der Natur“ waren, Anwendung finden. <strong>Die</strong> messianische Er-<br />

wartung einer Rückkehr der Einst-da-gewesenen Gottheiten auf die Erde durch-<br />

zieht leitmotivisch die gesamte Schrift <strong>und</strong> läßt sich mit der zeitgenössischen ro-<br />

mantischen Idee des „kommenden“ Gottes in Verbindung setzen, obwohl<br />

Dionysos nie ausdrücklich erwähnt wird.<br />

Im Rahmen dieser romantischen Mythos-Renaissance befindet sich auch das<br />

Werk Schellings, dem wahrscheinlich der Terminus „Neue Mythologie“ zu ver-<br />

danken ist. Das sogenannte Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus,<br />

auf das er mit Sicherheit eingewirkt hat, ist chronologisch gesehen die erste Pro-<br />

klamation der unausweichlichen Notwendigkeit einer neuen Mythologie <strong>und</strong> des<br />

Beginns eines neuen, goldenen Zeitalters der Ästhetik <strong>und</strong> weist insofern eine en-<br />

ge Verschränkung von Poetik <strong>und</strong> Bedürfnis nach einer Legitimierung der Gesell-<br />

schaft mittels Religion (Mythos) auf. Daran knüpft die Philosophie der Kunst an,<br />

in welcher der Gegensatz zwischen antiker <strong>und</strong> moderner Dichtung durch Verweis<br />

auf die Mythologie der <strong>Antike</strong> begründet wird. Darüber hinaus unterscheidet<br />

Schelling zwischen Mystik (das sich unmittelbar auf das Unendliche Beziehende)<br />

<strong>und</strong> Mythologie (Vermengung von Endlichem <strong>und</strong> Unendlichem) innerhalb der<br />

Religion der <strong>Antike</strong> <strong>und</strong> entwirft dabei eine Entwicklungslinie der Mystik bis in<br />

das Christentum hinein. <strong>Die</strong>ses sei nur die Umkehrung der griechischen Religion,<br />

nicht deren Vollendung, die erst durch den Advent der wahren Kirche <strong>und</strong> der<br />

neuen Religion einsetzen werde. <strong>Die</strong> schon in diesem Buch aufgegriffene Parallele<br />

zwischen den orientalischen Mythologien <strong>und</strong> dem Christentum <strong>und</strong> die Fähigkeit<br />

der christlichen Religion, esoterische Inhalte exoterisch zu vermitteln, bilden auch

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!