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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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228<br />

Dionysos begegnet man auch auf der mittleren Stufe der Entwicklung von<br />

Mutterrecht zum Vaterrecht. Wenn dem Muttertum die Erde entspricht, dann ent-<br />

spricht die Sonne dem Prinzip des Vatertums; Dionysos verkörpert die Sonne in<br />

<strong>ihre</strong>r vollen Macht <strong>und</strong> Ausstrahlung, ist „phallisch-zeugend“, „stets den empfan-<br />

genden Stoff suchend, um in ihm Leben zu erwecken“. 674 Aber die vollkommen-<br />

ste Idee der Paternität verwirklicht sich nur durch die apollinische Phase, mit dem<br />

Sieg des Lichtgottes, in dem sich die durch keine Verbindung mit der Sinnlichkeit<br />

beeinträchtigte Reinheit des Geistes durchsetzt:<br />

Hat Dionysos das Vatertum nur über die Mutter erhoben, so befreit<br />

sich Apollo vollständig von jeder Verbindung mit dem Weibe. Mutterlos<br />

ist seine Paternität, eine geistige, wie sie in der Adoption vorliegt,<br />

mithin unsterblich, der Todesnacht, in welche Dionysos, weil<br />

phallisch, stets hineinblickt, nicht unterworfen. 675<br />

Ähnliche Ansichten hatte Bachofen allerdings schon in einem zwei Jahre vor<br />

dem Mutterrecht veröffentlichten Werk, in Über die Gräbersymbolik der Alten,<br />

vertreten, dessen Symbolik aus der Gleichsetzung Mutterkult-Totenkult hervor-<br />

geht. Ursprung aller Dinge sei nämlich die große Mutter, aus der das Leben ent-<br />

stehe <strong>und</strong> in die sie zurückkehre. Der weibliche Schoß als Ursprung <strong>und</strong> Ende je-<br />

der Lebensform wird mithin zum Verbindungsglied, auf den man die gesamte<br />

Symbolik der Bilder der alten Grabstätten zurückführen könne. Des öfteren stoße<br />

man auf ein Ei, Symbol des Werdens <strong>und</strong> des Lebens, denn<br />

es umschließt in sich alle Teile der stofflichen Welt, Himmel <strong>und</strong> Erde,<br />

Licht <strong>und</strong> Finsternis, die männliche <strong>und</strong> die weibliche Naturpotenz,<br />

den Strom des Werdens <strong>und</strong> des Vergehens, den Keim aller tellurischen<br />

Organismen, der höhern <strong>und</strong> der niedern Schöpfung, <strong>und</strong> die<br />

ganze Götterwelt, die, stofflichen Ursprungs wie alles tellurische Leben,<br />

mit Menschen, Tieren, Pflanzen eine <strong>und</strong> dieselbe Mutter hat,<br />

das finstere Ei. 676<br />

Am Beispiel der Symbole des werdenden Lebens entwickelt Bachofen eine<br />

eigene Interpretationstheorie, welche die erkenntnistheoretische Relevanz des<br />

Mythos aufwertet <strong>und</strong> seine Beziehung zum Symbol definiert:<br />

Der Mythus ist die Exegese des Symbols. Er entrollt in einer Reihe<br />

äußerlich verb<strong>und</strong>ener Handlungen, was jenes einheitlich in sich trägt.<br />

Dem diskursiven philosophischen Vortrage gleicht er insofern, als er,<br />

674 GW II, S. 59.<br />

675 GW II, S. 61.<br />

676 GW IV, S. 33.

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