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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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ßerer Welt <strong>und</strong> innerer Welt ähnlich wie im alten Griechenland wiederherstellt.<br />

<strong>Die</strong>ses Phänomen nimmt einen ausgesprochen religiösen Charakter an, zumal die<br />

„Neue Mythologie“ die Ankündigung des kommenden Gottes, die Wiederkehr der<br />

Gottheit vorbereitet, also ein utopischer, zukunftsweisender Gedanke ist, der<br />

gleichzeitig auch der modernen Dichtung zugr<strong>und</strong>eliegt. 481<br />

Wie bei Hölderlin schon zu sehen war, führt die Idee einer Rückkehr der<br />

Götter auf Dionysos zurück. Sein Kult manifestierte sich als religiöses Gemein-<br />

schaftserlebnis, in dessen Rahmen der Einzelne sich unmittelbar im Einklang mit<br />

dem Ganzen, mit dem Organismus der Gemeinde fühlen konnte. <strong>Die</strong>se Funktion<br />

äußerte sich am deutlichsten in der Tragödie, dem Ort realer religiöser Gemein-<br />

schaft. <strong>Die</strong>ser Ort soll durch die Verkündigung der Dichtung wiederhergestellt<br />

werden. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> fällt es nicht schwer, die Christus-Dionysos-<br />

Analogien zu verstehen, die in großer Anzahl die zeitgenössische Literatur durch-<br />

ziehen. Den geglücktesten dichterischen Ausdruck findet man in Hölderlins Werk.<br />

Das Thema ist aber auch Gegenstand zahlreicher Abhandlungen <strong>und</strong> Nachfor-<br />

schungen der hervorragendsten Wissenschaftler der Zeit.<br />

Daher ist auf den sich in dieser Epoche vollziehenden Wandel der Diony-<br />

sosdarstellung <strong>und</strong> -auffassung näher einzugehen. Bacchus, der mit dem furchter-<br />

regenden Gott der Bakchen nicht viel gemeinsam hatte, war zweifellos die<br />

Hauptfigur einer bedeutenden Tradition anachreontischer Dichtung, welche sich<br />

im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert der Beliebtheit eines breiten Publikums erfreuen konnte. Der<br />

hier dargestellte Gott ist der unbeschwerte <strong>und</strong> harmlose Patron des geselligen Le-<br />

bens <strong>und</strong> des Vergnügens (guter Wein, Essen, unkomplizierte Liebe zu ebenso<br />

unkomplizierten Frauen). Zu dieser Zeit werden die alten Götter beim Rückgriff<br />

auf den alten Mythos durchweg mit <strong>ihre</strong>r lateinischen Bezeichnung genannt – eine<br />

bis Schillers Götter Griechenlands fortwirkende Konvention. 482 Der Umgang mit<br />

481 In seinem Beitrag zur Geschichte des Mythosbegriffs im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bemerkt<br />

Betz zum Phänomen der Neuen Mythologie: „<strong>Die</strong>ser zunächst von der antiken Religion<br />

übernommene <strong>und</strong> säkularisierte Mythos-Begriff wird nun von der Romantik wieder in<br />

den Bereich der Religion zurückgeführt.“ In: W. Betz, „Vom ‚Götterwort‘ zum ‚Massentraumbild‘.<br />

Zur Wortgeschichte von ‚Mythos‘“, in: Helmut Koopmann (Hrsg.), Mythos<br />

<strong>und</strong> Mythologie in der Literatur des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Frankfurt a. M. 1979, S. 15.<br />

482 Schillers Darstellung des griechischen Gottes <strong>und</strong> seines Triumphs in diesem Gedicht<br />

befindet sich durchaus in der Nachfolge der angesprochenen Tradition <strong>und</strong> zeigt<br />

eher den Einfluß Ovids als Euripides’. Dionysos ist hier Bacchus <strong>und</strong> noch kein existentielles<br />

Symbol der heiligen Mysterien des Lebenszyklus: Vgl. HA I, S. 171, V. 57-64 (2.

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