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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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dant entspricht, begegnet man dem wilden <strong>und</strong> erbarmungslosen Zagreus, der für<br />

den ursprünglichen Monotheismus steht <strong>und</strong> deshalb auf der gleichen Stufe auch<br />

Götter wie Jahwe, Kronos <strong>und</strong> Moloch symbolisiert. Im Dionysos Bakchos wird<br />

hingegen die Göttervielheit angebetet: Auf Zagreus folgt der holdgewordene,<br />

menschenfre<strong>und</strong>liche, milde <strong>und</strong> wohltätige Gott des Weines <strong>und</strong> der Freude. In<br />

der dritten Phase dieser Dionysiologie 559 wird der sich vergeistigende Dionysos<br />

Iakchos der Mysterien gefeiert. Iakchos ist das in der heiligen Nacht der eleusini-<br />

schen Mysterien geborene Kind, dessen Name aus dem Jubelruf (iachä) des mystischen<br />

Chors stammt; er ist der Sohn des Zeus <strong>und</strong> der Getreidegöttin Demeter. 560<br />

Solche Identifikationen <strong>und</strong> Theorien sind von der heutigen Philologie in Fra-<br />

ge gestellt worden. <strong>Die</strong> Altertumswissenschaft blickt nur skeptisch auf diese Hy-<br />

pothesen, die mit der authentischen Überlieferung der griechischen Mysterien<br />

nicht viel gemeinsam haben. <strong>Die</strong> Philosophie <strong>und</strong> die Literatur des Idealismus ha-<br />

ben die antiken Mysterien mit einem ihnen ursprünglich fremden ,mystischen‘<br />

Sinn platonischer Herkunft 561 belastet: Das Wort heißt einfach<br />

„Weihehandlung“. <strong>Die</strong> Bedeutung <strong>und</strong> den Inhalt der Mysterien definiert der Al-<br />

tertumswissenschaftler Walter Burkert sachlich, ohne mystische Spekulationen,<br />

wie folgt: „Ein Mensch wird durch bestimmte rituelle Handlungen einer Gruppe<br />

neu angegliedert, die sich zu einem Kult zusammenfindet, dessen Hauptbestand-<br />

teil eben diese Einweihungsfeier ist.“ 562 Es ist dennoch unbestritten, daß eine tiefe<br />

gemeinschaftstiftende Funktion den eleusinischen Mysterien zukam; die Annah-<br />

me, daß „eine Mystengemeinschaft geradezu identisch mit einer Polis-<br />

Gemeinschaft“ sei, trifft besonders auf Eleusis zu, nicht aber in einem engen poli-<br />

tischen Sinn; in den eleusinischen Mysterien wirkt eine Auffassung von Gemein-<br />

559 Belege für seine Dionysiologie findet Schelling in den alten, vor allem orphischen<br />

Quellen, besonders in dem späten epischen Werk Dionysiaká des Nonnos, denen auch<br />

Creuzer in seiner Mysterienlehre eine Sonderstellung einräumt. Vgl. auch Diodor aus Sizilien<br />

(<strong>III</strong>, 62).<br />

560 Dazu: RE V, Art. „Eleusis“ <strong>und</strong> „Eleusinia“, Sp. 2328 ff. (Jessen, 1905); IX, Art.<br />

„Jakchos“, Sp. 613 ff (Kern, 1905); 617f; Martin P. Nilsson, Geschichte der griechischen<br />

Religion, in Walter Otto (Hrsg.), Handbuch der Altertumswissenschaft, Abtlg. 5, Teil 2, 2<br />

Bde., München 1941, Bd. 1, S. 599ff..<br />

561 Im Symposion 201d-212c <strong>und</strong> im Phaidros 250bc beschreibt Platon den Werdegang<br />

des Philosophen mit einer aus den Mysterien stammenden Metaphorik.<br />

562 W. Burkert, a. a. O., S. 274. Dazu auch: Ders., <strong>Antike</strong> Mysterien. Funktionen <strong>und</strong><br />

Gehalt, München 1990, S. 15f. Das ,Geheimnis‘ Eleusis führt Burkert auf Initiationsriten<br />

zurück, in deren Verlauf der Eingeweihte die Angst vor dem Tod überwindet; s. Homo

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