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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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168<br />

solle die zeitgenössische Dichtung, anstatt leblose Mythen zu wiederholen, den<br />

Anforderungen der Gegenwart gemäß mit Einbildungsvermögen <strong>und</strong> Phantasie die<br />

Mythologie erneuern. Hier taucht jener Gedanke einer Neuen Mythologie zum er-<br />

sten Mal auf, der, wie gesehen, im Mittelpunkt der frühromantischen Philosophie<br />

steht: „Durch eine sinnschöpferische <strong>und</strong> sinnverändernde Arbeit am historischen<br />

Erbe [gerät] eine zeitgenössische Bedeutsamkeit in die mythischen Vorstellungen<br />

<strong>und</strong> die zeitgenössische Dichtung [könnte] wieder mit einem Anspruch sprechen,<br />

der der Verbindlichkeit der antiken Sujets wenigstens vergleichbar wäre.“ 487 <strong>Die</strong><br />

Griechen erteilen ja die Lehre, daß man schöpferisch sein muß, wenn man hervor-<br />

ragende Leistungen hervorbringen will. <strong>Die</strong> Neue Mythologie werde zwei Gr<strong>und</strong>-<br />

tendenzen aufweisen: „den Reduktions- <strong>und</strong> den Fiktionsgeist; die Zergliederung<br />

des Philosophen <strong>und</strong> die Zusammensezzung des Dichters“. 488<br />

Herder sieht in der Darstellung des Bacchus in Königsberger Gelehrte <strong>und</strong><br />

Politische Anzeigen auf das Jahr 1764, in Fragmente über die neuere deutsche<br />

Literatur (1766-67) <strong>und</strong> in Kritische Wälder (1769) ein Symbol: Er verkörpert ei-<br />

ne neue Dichtung in Anlehnung an die altgriechischen Dithyramben, die Möglich-<br />

keit, daß „trunkne Gesänge einer heiligen Religions- <strong>und</strong> Staatsbegeisterung …<br />

aus dem Innern unsrer Religion, <strong>und</strong> Nation, unsrer Erziehung <strong>und</strong> Welterfahrung,<br />

rührende Gemälde von Menschlichen Affekten <strong>und</strong> Situationen gezogen werden<br />

können“. 489 „Ihr Gesang war voll von der thiersinnlichen Sprache des Weins, <strong>und</strong><br />

der Wein erhob sich wieder zu einer gewissen Mystischsinnlichen Sprache der<br />

Götter, ein heiliger Gesang in doppeltem Verstande. <strong>Die</strong> Priester, zugleich Dichter<br />

<strong>und</strong> Staatsleute, webten aus Nationalsagen eine Mythologie zusammen, die sich<br />

zu <strong>ihre</strong>n rauhen Gesängen bildete“. 490 Dadurch konnte der Mensch „jene Aus-<br />

breitung der Seele“, die dem „Parenthyrsus der Trunkenheit <strong>und</strong> der Beschauung<br />

himmlischer Dinge“ 491 innewohnt, erreichen. <strong>Die</strong>se durch rasende Tänze <strong>und</strong> wild<br />

Anm. 5.<br />

487<br />

M. Frank, Der kommende Gott, a. a. O., S. 128. Dazu s. auch F. Strich, <strong>Die</strong> Mythologie<br />

in der deutschen Literatur. Von Klopstock bis Wagner, unveränderter reprographischer<br />

Nachdruck der 1. Auflage, Halle an der Saale 1910, 2 Bde., Tübingen 1970, Bd.<br />

1, S. 47ff.<br />

488<br />

J. G. Herder, Sämtliche Werke, hrsg. von B. Suphan, 33 Bde., Reprographischer<br />

Nachdruck der Ausgabe Berlin 1877-1913, Berlin 1967-1968, Bd. 1, S. 444.<br />

489<br />

Ebenda, Bd. 2, S. 180.<br />

490<br />

Ebenda, Bd. 1, S. 310.<br />

491<br />

Ebenda, Bd. 1, S. 311.

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