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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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Einen befriedigendern Aufschluß über die Entstehung des Drama’s<br />

muß die Verbindung geben, in welcher es mit dem Gottesdienste, <strong>und</strong><br />

zwar des Bacchus, steht. Der Griechische Götterdienst enthält überhaupt<br />

eine Menge dramatischer Elemente. […] <strong>Die</strong> Eleusinische Mysterien<br />

waren, nach dem Ausdrucke eines alten Schriftstellers selbst,<br />

ein ,mystisches Drama‘, in welchem die Geschichte der Demeter <strong>und</strong><br />

Kora von Priestern <strong>und</strong> Priesterinnen wie ein Schauspiel aufgeführt<br />

wurde: nur wahrscheinlich bloß durch mimische Handlungen. […] So<br />

begreift man, nach unserer Meinung, wie sich ohne willkürliche Fiction<br />

aus der Begeisterung des Bacchus-Cultus das Drama als ein<br />

Stück der festlichen Verehrung des Gottes hervorbilden konnte. […]<br />

Es ist ein Factum von unerschöpflicher Wichtigkeit für die Geschichte<br />

der dramatischen Poesie, daß der lyrische Theil, der Gesang<br />

des Chors, der ursprüngliche Bestandtheil war. <strong>Die</strong> Handlung, das<br />

Schicksal des Gottes wurde vorausgesetzt oder nur durch den Opfergebrauch<br />

symbolisch angedeutet; der Chor drückte seine Empfindungen<br />

darüber aus. <strong>Die</strong>ser Chorgesang gehörte in die Klasse des Dithyrambos;<br />

[…] Der Dithyramb, aus welchem die Tragödie erwuchs,<br />

drehte sich um die Leiden des Dionysos, wie die merkwürdige Nachricht<br />

des Herodot deutlich merken läßt, daß in Sikyon in der Zeit des<br />

Tyrannen Kleisthenes (gegen Olymp. 45, 600 v. Chr.) tragische Chöre<br />

aufgetreten seien, welche statt des Dionysos den Heros Adrast wegen<br />

seiner Leiden verherrlicht hätten; Kleisthenes habe diese Chöre dem<br />

Cultus des Dionysos zurückgegeben. Man sieht also, daß es damals<br />

nicht allein tragische Chöre gab, sondern auch, daß deren Darstellungen<br />

bereits von Dionysos auf Heroen übertragen worden waren, nämlich<br />

solche, die durch schwere Leiden <strong>und</strong> Drangsale dazu geeignet<br />

waren. Hierin liegt ja überhaupt der Gr<strong>und</strong>, warum mitunter Dithyramben,<br />

<strong>und</strong> hernach die Tragödie in der Regel, von Dionysos auf Heroen<br />

<strong>und</strong> nicht auf andere Götter des Griechischen Olympos übertragen<br />

wurden: darin nämlich, daß diese über den Wechsel der<br />

Schicksale, den Gegensatz von Freud’ <strong>und</strong> Leid, erhaben sind, welchem<br />

dagegen Dionysos <strong>und</strong> die Heroen gleichmäßig unterliegen. 621<br />

211<br />

<strong>Die</strong> für den Dionysoskult bezeichnende Erfahrung der Verwandlung <strong>und</strong> der<br />

selbstvergessenen Teilnahme der Epopten an der Mysterienhandlung würde nach<br />

Müllers Ansicht die sympathetische Verbindung zwischen Satyrchor <strong>und</strong> Zu-<br />

schauer erklären. <strong>Die</strong>ser Aspekt der Tragödie führe auf „die enthusiastische Be-<br />

geisterung“ zurück:<br />

[Der Bacchusdienst ist …] hervorgegangen aus einer leidenschaftlichen<br />

Theilnahme an den Ereignissen der Natur im Laufe der Jahreszeiten,<br />

insbesondere an dem Kampfe, den die Natur gleichsam im<br />

Winter durchgeht, um in erneuter Blüthe im Frühjahr hervorzubrechen:[…]<br />

man faßte auch den Bacchus ganz als ein persönliches,<br />

menschenartiges, für sich existirendes Wesen; aber es blieb doch immer<br />

diese begeisterte Theilnahme am Dionysos <strong>und</strong> seinen Schicksa-<br />

621 K. O. Müller, Geschichte der griechischen Literatur bis auf das Zeitalter Alexanders,<br />

nach der Handschrift des Verfassers hrsg. von E. Müller, 2 Bde., Breslau 1841, zit.<br />

nach der 2. Auflage, Breslau 1857, Bd. 2, S. 25f <strong>und</strong> 29f.

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