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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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denheit erforschen <strong>und</strong> begreifen kann; außerhalb <strong>ihre</strong>s jeweils geschichtlichen<br />

Horizonts verlieren sie jeglichen Anspruch auf Wahrheit <strong>und</strong> Gültigkeit.<br />

Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß 1810, zwei Jahre vor<br />

der Veröffentlichung der Symbolik, Joseph Görres, ein Schüler Creuzers (1776-<br />

1848), in seiner Mythengeschichte der asiatischen Welt 593 auf ähnliche Weise von<br />

einer Ausbreitung der dionysischen- <strong>und</strong> Mysterienreligion von Osten nach We-<br />

sten im Sinne einer Erneuerung der Welt gesprochen hatte. <strong>Die</strong>ses Werk in vier<br />

Bänden geht von der romantischen Überzeugung aus, das Göttliche sei überall <strong>und</strong><br />

zu jeder Zeit zugänglich. Gott offenbare sich im Weltall <strong>und</strong> in der Geschichte;<br />

deshalb habe jede Epoche <strong>ihre</strong> Heiligen <strong>und</strong> Propheten gekannt. <strong>Die</strong> Geschichte<br />

sei folglich in erster Linie eine religiöse Geschichte der Offenbarung Gottes bei<br />

den verschiedensten Völkern <strong>und</strong> in den verschiedensten Epochen. Am Anfang<br />

der Geschichte sei die Religion pantheistisch gewesen, weil Naturelemente wie<br />

der Himmel oder die Sonne verehrt wurden. Später, mit den Völkerwanderungen,<br />

hätten sich sexualisierte Naturvorstellungen durchgesetzt. Selbst die Schöpfung<br />

der Welt <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Entfaltung ähneln im Zeugen <strong>und</strong> Gebären einer dionysischen<br />

Epiphanie. <strong>Die</strong> Welt entstehe aus der Vereinigung des irdischen, weiblichen Prin-<br />

zips 594 mit dem himmlischen, männlichen. Der Phallos des Dionysos sei das erste<br />

Symbol des Göttlichen <strong>und</strong> jener ursprünglichen, lebensspendenden Umarmung<br />

der zwei Urelemente, die am Anfang des Lebensprozesses stehe. 595 Der dritten<br />

<strong>und</strong> vierten Stufe dieser Entwicklung entsprächen jeweils der Heroenkult <strong>und</strong> ver-<br />

geistigte Religionsformen, wie der Buddhismus, der Zoroastrismus <strong>und</strong> das Chri-<br />

stentum. Der Glaube an eine ursprüngliche, nur im Mythos enthaltene Einheit al-<br />

les Seienden nimmt deutlich Creuzers Gedanken der gemeinsamen Symbolik der<br />

593 Joseph Görres, Mythengeschichte der asiatischen Welt, Bd. 5 (1935), in: Gesammelte<br />

Schriften, herausgegeben im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Wilhelm Schellberg<br />

in Zusammenarbeit mit Max Braubach, Köln 1926ff.<br />

594 Vgl. dazu W. Lösch, Der werdende Gott. Mythopoetische Theogonien in der romantischen<br />

Mythologie, Frankfurt a. M./Berlin/Bern u. a. 1996, S. 11: „<strong>Die</strong>ser Gedanke<br />

der ursprünglichen geschlechtlichen Einheit in der Gottheit, der Vereinigung oder Ergänzung<br />

männlicher <strong>und</strong> weiblicher Potenzen in einem göttlichen Wesen, der besonders in<br />

den alten Hochkulturen zwischen Ostmittelmeer <strong>und</strong> Indusgebiet <strong>und</strong> in Griechenland<br />

durch die Orphik Eingang gef<strong>und</strong>en hatte, ist in einigen mythopoetischen Übertragungen<br />

auch in den neuen Theogonien der romantischen Mythologie erkennbar.“<br />

595 A. Baeumler (Das mythische Weltalter. Bachofens romantische Deutung des Altertums,<br />

Sonderausgabe, München 1965, S. 102) hat zu Recht von einer „Metaphysik der<br />

Zeugung“ geredet.

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