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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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wie dieser, den Gedanken in eine Reihe zusammenhängender Bilder<br />

zerlegt <strong>und</strong> dann dem Beschauer überläßt, aus <strong>ihre</strong>r Verbindung den<br />

letzten Schluß zu ziehen. Derselbe Mythenschatz, in welchem die<br />

alte Welt die frühesten Erinnerungen <strong>ihre</strong>r Geschichte, die ganze<br />

Summe <strong>ihre</strong>r physischen Kenntnisse, das Gedächtnis früherer Schöpfungsperioden<br />

<strong>und</strong> gewaltiger Erdwandlungen niedergelegt hatte, derselbe<br />

wird nun zur Darstellung religiöser Wahrheiten, zur Veranschaulichung<br />

großer Naturgesetze, zum Ausdruck ethischer <strong>und</strong><br />

moralischer Wahrheiten <strong>und</strong> zur Erregung trostreicher Ahnungen, die<br />

über die traurige Grenze des stofflichen Fatums hinausführen. Der Inhalt<br />

der Mysterien in seiner doppelten physischen <strong>und</strong> metaphysischen<br />

Bedeutung wird im Gewande der Mythenbilder dem Beschauer<br />

vor die Seele geführt. 677<br />

229<br />

Während der Mysterien wird die Identität zwischen Mutterschoß <strong>und</strong> Unter-<br />

welt <strong>und</strong> die Idee des den Tod <strong>und</strong> das Leben vereinigenden Nächtlichen verkün-<br />

det; dadurch wird gleichsam Zeugnis von der ,chthonischen‘ Vorzeit des Men-<br />

schen abgelegt, die durch eine tellurische Vorstellungswelt gekennzeichnet ist.<br />

Der Mythos bewahrt die Erinnerung an die Ursprünge <strong>und</strong> an die chtonischen Sta-<br />

dien der Menschheitsgeschichte, die durch den als Fortschritt gewerteten Über-<br />

gang in die homerische Welt <strong>und</strong> durch den Wandel vom Dunkel zum Licht, vom<br />

Stofflichen zum Logos zwar überholt, aber nicht vertilgt werden. Auch der helle<br />

olympische Pantheon kennt die Macht der Unterwelt <strong>und</strong> zeigt eine noch starke<br />

Bindung zu den chthonischen Gottheiten, aus denen er stammt. <strong>Die</strong>se tellurische<br />

Urschicht kommt in den Tragödien deutlich ans Licht. „Im Gr<strong>und</strong>e ist also für<br />

Bachofen alles Gegenwart, der alte wie der neue Mythos. <strong>Die</strong> göttliche Wirklich-<br />

keit bildet einen in sich geschlossenen Kreis vom Chthonischen über das Home-<br />

risch-Olympische zum Christlichen, <strong>und</strong> nur in der menschlichen Geschichte wird<br />

er sukzessiv durchmessen. Aber auch da bleibt das Vergangene etwas Anschauba-<br />

res <strong>und</strong> eine wiederholbare Wirklichkeit, die uns in den Symbolen alter Grabstätten<br />

anblickt.“ 678<br />

In Rahmen dieses Mythosverständnisses <strong>und</strong> der Aufwertung der Rolle der<br />

Ursprünge nimmt auch das oben bereits geschilderte Gegensatzpaar Apollon-<br />

Dionysos eine wichtige Rolle ein. Dionysos erscheint in Verbindung mit der<br />

chthonischen Sphäre der Mutter Erde, sein Symbol des Phallos kann daher eine<br />

677 GW IV, S. 61. Zu Bachofens Mythosbegriff vgl. auch F. Graf, „La materia come<br />

maestra. La teoria del simbolo e dei miti di Johann Jakob Bachofen e i suoi presupposti<br />

storico-scientifici“, in: Quaderni di storia 28 (1988), S. 17-39.<br />

678 K. Hübner, a. a. O., S. 75.

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