07.10.2013 Aufrufe

III. Die Antike und ihre Nachtseite

III. Die Antike und ihre Nachtseite

III. Die Antike und ihre Nachtseite

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

178<br />

nicht mehr ein Sammelsurium von Aberglauben, Phantasien <strong>und</strong> kindlichem Un-<br />

wissen, die der aufgeklärte Geist mittels der analytischen Vernunft aus der Welt<br />

schaffen muß, denn im neuen Zeitalter erkennt man das inwendige <strong>und</strong> unmittel-<br />

bare Zusammenfallen von Bildern <strong>und</strong> Sinn in der mythologischen Bildersprache.<br />

Welcher Mythologie soll man sich aber zuwenden? Es sei nicht mehr möglich,<br />

den alten griechischen Mythos ipso facto wieder neu zu beleben. <strong>Die</strong> griechische<br />

Mythologie sei in der Tat unwiederbringlicher Ausdruck eines Naturganzen gewe-<br />

sen, zu dem auch der Mensch gehöre. Sie habe die lebendige Harmonie des Kos-<br />

mos widergespiegelt <strong>und</strong> sei einem „hieroglyphischen Ausdruck der umgebenden<br />

Natur in dieser Verklärung von Fantasie <strong>und</strong> Liebe“ 527 gleichgekommen. Aus den<br />

alten Mythologien muß man nicht die Inhalte schöpfen, sondern vielmehr die Mo-<br />

di, die kulturelle <strong>und</strong> legitimierende Funktion des Mythos in einer jeweils gegebe-<br />

nen Gesellschaft oder Zeit. Dadurch gewinnen nicht nur die griechische, sondern<br />

auch die orientalischen Mythologien an Bedeutung für die künftige Bildung einer<br />

neuen Mythologie:<br />

Auch die andern Mythologien müssen wieder erweckt werden nach<br />

dem Maß <strong>ihre</strong>s Tiefsinns, <strong>ihre</strong>r Schönheit <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r Bildung, um die<br />

Entstehung der neuen Mythologie zu beschleunigen. Wären uns die<br />

Schätze des Orients so zugänglich wie die des Altertums! Welche<br />

neue Quelle von Poesie könnte uns aus Indien fließen, wenn einige<br />

deutsche Künstler mit der Universalität <strong>und</strong> Tiefe des Sinns, mit dem<br />

Genie der Übersetzung , das ihnen eigen ist, die Gelegenheit besäßen,<br />

welche eine Nation, die immer stumpfer <strong>und</strong> brutaler wird, wenig zu<br />

brauchen versteht. Im Orient müssen wir das höchste Romantische<br />

suchen. 528<br />

Unter dem Gesichtspunkt <strong>ihre</strong>r Funktion stimmen alle Mythologien darin<br />

überein, daß sie folglich: „ein Kunstwerk der Natur [seien]. In <strong>ihre</strong>m Gewebe ist<br />

das Höchste wirklich gebildet; alles ist Beziehung <strong>und</strong> Verwandlung, angebildet<br />

<strong>und</strong> umgebildet, <strong>und</strong> dieses Anbilden <strong>und</strong> Umbilden eben ihr eigentümliches Ver-<br />

fahren, ihr innres Leben, <strong>ihre</strong> Methode“. 529 <strong>Die</strong> alten Götter <strong>und</strong> „das graue Al-<br />

tertum“ können nicht an einem anderen Ort <strong>und</strong> Zeitalter ins Leben gerufen wer-<br />

den, sondern sind vielmehr Symbole der Aufgaben, die sich jede Mythologie, also<br />

auch die neue, vornehmen muß: „Den Gang <strong>und</strong> die Gesetze der vernünftig den-<br />

527 Ebenda, S. 318.<br />

528 Ebenda, S. 319.<br />

529 Ebenda, S. 318.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!