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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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Volk lebt immer in der Vergangenheit <strong>und</strong> im lebendigsten Verkehr<br />

mit seiner Vorzeit. 663<br />

223<br />

Es existiert für Bachofen eine Kontinuität zwischen früheren, vorgeschichtli-<br />

che, Stufen des Daseins <strong>und</strong> dem, was man unter Geschichte versteht <strong>und</strong> darüber<br />

gibt der Mythos Aufschluß. <strong>Die</strong> Überlieferung besteht folglich aus einer engen<br />

Verschränkung von Mythos <strong>und</strong> Geschichte: „Er [Bachofen] mythisiert die Ge-<br />

schichte.“ 664 <strong>Die</strong>ses kommt in aller Deutlichkeit in der Einleitung zum Mutter-<br />

recht zum Ausdruck, wo nach einer knappen Zusammenfassung der Forschungs-<br />

schwerpunkte dieses Werks zu lesen ist:<br />

Unsere moderne historische Forschung, in einseitiger Ausschließlichkeit<br />

auf die Ermittlung der Ereignisse, Persönlichkeiten, Zeitverhältnisse<br />

gerichtet, hat durch die Aufstellung des Gegensatzes zwischen<br />

geschichtlicher <strong>und</strong> mythischer Zeit <strong>und</strong> die ungebührliche Ausdehnung<br />

der letztern der Altertumswissenschaft eine Bahn angewiesen,<br />

auf welcher tieferes <strong>und</strong> zusammenhängendes Verständnis nicht zu<br />

erlangen ist. Wo immer wir mit der Geschichte in Berührung treten,<br />

sind die Zustände der Art, daß sie frühere Stufen des Daseins voraussetzen:<br />

nirgends Anfang, überall Fortsetzung, nirgends bloße Ursache,<br />

immer zugleich schon Folge. Das wahrhaft wissenschaftliche Erkennen<br />

besteht nun nicht nur in der Beantwortung der Frage nach dem<br />

Was? Seine Vollendung erhält es erst dann, wenn es das Woher? zu<br />

entdecken vermag <strong>und</strong> damit das Wohin? zu verbinden weiß. Zum<br />

Verstehen wird das Wissen nur dann erhoben, wenn es Ursprung,<br />

Fortgang <strong>und</strong> Ende zu umfassen vermag. Der Anfang aller Entwicklung<br />

aber liegt in dem Mythus. Jede tiefere Erforschung des Altertums<br />

wird daher unvermeidlich zu ihm zurückgeführt. Er ist es, der die Ursprünge<br />

in sich trägt, er allein, der sie zu enthüllen vermag. <strong>Die</strong> Ursprünge<br />

aber bedingen den spätern Fortschritt, geben der Linie, die<br />

dieser befolgt, für immer <strong>ihre</strong> Richtung. Ohne Kenntnis der Ursprünge<br />

kann das historische Wissen nie zu innerm Abschluß gelangen. Jene<br />

Trennung von Mythos <strong>und</strong> Geschichte, wohlbegründet, sofern sie<br />

die Verschiedenheit der Ausdrucksweise des Geschehenen in der<br />

Überlieferung bezeichnen soll, hat also gegenüber der Kontinuität der<br />

menschlichen Entwicklung keine Bedeutung <strong>und</strong> keine Berechtigung.<br />

665<br />

<strong>Die</strong>se Aussagen Bachofens haben zwei wichtigen Folgen: Erstens kommt dem<br />

Mythos eine bisher kaum berücksichtigte Erkenntnisfunktion zu, weil sich die An-<br />

fänge aller späteren historischen Ereignisse <strong>und</strong> Institutionen durch ihn beleuchten<br />

lassen; zweitens erfolgt eine Aufwertung der Vorgeschichte, d.h. der Zeit von ur-<br />

663 GW I, S. 494. Hervorhebungen von mir.<br />

664 A. Baeumler, a. a. O., S. 200.<br />

665 GW II, S. 15f. Dazu A. Baeumler, a. a. O., S. 199ff.

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