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III. Die Antike und ihre Nachtseite

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dem erst später in den Mythen erzählten <strong>und</strong> veranschaulichten Gedachten, dem<br />

mythischen prähistorischen Kern, gezogen, denn Mythographien stellen im Ver-<br />

gleich zum tiefgründigen Wesen des Mythos nur eine oberflächliche, neu entstan-<br />

denen Schicht dar. Ähnlich verlief die Differenzierung zwischen der Vielfalt der<br />

geschichtlichen Erscheinungen <strong>und</strong> der Gleichförmigkeit der Vergangenheit, zwi-<br />

schen Veränderung <strong>und</strong> Beständigkeit, Kultur <strong>und</strong> Natur, Politik <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />

Rationalität <strong>und</strong> Irrationalität, Männlichem <strong>und</strong> Weiblichem. 604<br />

<strong>Die</strong> Beschäftigung mit Creuzers Symbolik prägt auf entscheidende Weise Karl<br />

Otfried Müllers (1797-1840) Untersuchung der griechischen Kultur <strong>und</strong> Mytholo-<br />

gie, die zwischen den beiden Polen der ,rationalen Wissenschaft‘ <strong>und</strong> der<br />

,romantisch-theologischen Spekulation‘ schwankt <strong>und</strong> deshalb versucht, die neu-<br />

en, romantischen Ideen eines religiösen Ursprungs der Kultur mit der Akribie der<br />

philologischen Methode in einem harmonischen Ganzen zu vereinigen. 605 Auf der<br />

Suche nach den Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> den Eigentümlichkeiten der griechischen Kultur<br />

widerlegt Müller Creuzers Glauben an eine ursprüngliche, einheitliche, allen Völ-<br />

kern zugängliche symbolische Erfahrung, die durch eine vergleichende Religi-<br />

onswissenschaft nachweisbar wäre. Seine hermeneutische Methode führt ihn<br />

vielmehr zum Nachweis der Originalität <strong>und</strong> Einheitlichkeit jeder Kultur in der<br />

Vielfalt <strong>ihre</strong>r geschichtlichen Erscheinungen. <strong>Die</strong>sem theoretischen Vorhaben ent-<br />

springt der Plan der Geschichten Hellenischer Stämme <strong>und</strong> Städte (1818): <strong>Die</strong> re-<br />

ligiöse Weltanschauung mache das Innere <strong>und</strong> Spezifische eines Volks aus <strong>und</strong><br />

müsse daher in Verbindung mit <strong>ihre</strong>m Entstehungsort untersucht werden. Der<br />

Kern von Müllers Kritik an Creuzer besteht in der Erkenntnis, daß „art and civi-<br />

lization originated in religion, which itself sprang from the relationship between<br />

the soul and natural circumstances. One might admire and love different cultures,<br />

<strong>ihre</strong>rseits weit hinter dem zurück, was die Texte hätten leisten können“).<br />

604 Vgl. J. H. Blok, The Early Amazons, a. a. O., S. 10ff.<br />

605 Dazu J. H. Blok, „‘Romantische Poesie, Naturphilosophie, Konstruktion der Geschichte’:<br />

K. O. Müller’s Understanding of History and Myth“, in: W. M. Calder/R.<br />

Schlesier (Hrsg.), a. a. O., S. 57ff. Der Beitrag zeichnet u. a. Müllers Bildungsweg <strong>und</strong><br />

die Rolle des Pietismus in seiner Erziehung nach. Müllers Auffassung der Altertumswissenschaft<br />

wird im Kontext der Polemik zwischen ,Sach-Philologie‘, (Böckh, Müllers<br />

Lehrer) <strong>und</strong> ,Sprach-Philologie‘ (Hermann) analysiert [s. dazu auch Ernst Vogt, „Der<br />

Methodenstreit zwischen Hermann <strong>und</strong> Böckh <strong>und</strong> seine Bedeutung für die Geschichte<br />

der Philologie“, in: Hellmut Flashar/Karlfried Gründer/Axel Horstmann (Hrsg.), a. a. O.,<br />

S. 103-121].

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