zwei flüchtige begegnungen - Ein bisschen Meia

111
Eine Stunde wie ein Zeitalter
Unmittelbar nach jenen Gedankengängen überlegte ich, ob sich der positive Effekt noch
steigern ließ, in dem ich mich der Länge nach auf dem Mauersims ausstreckte und ein wenig
schlief. Ich stellte mir vor mit welchen freudigen Gefühlen es verbunden wäre aufzuwachen
und feststellen zu können, dass es bereits halb sechs sei. Der Gedanke, den Ablauf der
Stunden aufgrund einer Art von Bewusstlosigkeit nicht erleben zu müssen klang für mich
äußerst verlockend. Aber dennoch warf ich diesen Einfall sofort auf den mentalen
Schutthaufen der undurchführbaren Ideen, da ich mich hellwach fühlte und festen Glaubens
war, dass erfolglose Einschlafversuche wahrscheinlich länger anmuteten als in aufrechter
Position wahrgenommenes Warten, welches nur durch viertelstündliche Blicke auf die Uhr
unterbrochen wurden.
Die Entscheidung hierzu wurde mir durch den kalten Oktoberwind erleichtert, welcher
stärker als sonst durch den zugigen Gang wehte, dabei ein leichtes, kaum hörbares Pfeifen
erzeugte und sich meine Gedanken automatisch mit diesem Naturschauspiel beschäftigten.
Er trieb ein einsames Blatt vor sich her. Unmittelbar vor mir kam es zur Ruhe als sich die
fordernde Kraft des Windes abschwächte.
„Von welcher Baumart stammt es wohl?“, dachte ich bei dessen Anblick, „Ist es von
einer Eiche, Buche, Fichte oder… Keine Ahnung… Und… Woher soll dich das wissen?...
Bin ich ein Förster, oder watt?... Ich weiß nur, das Bäume meistens fast ganz aus Holz sind
und da überall Blätter dran hängen… Die meisten jedenfalls sind aus Holz, Stammbäume
überhaupt nicht und Schlagbäume sind es nur manchmal, oft sind die aus Metall… Und
überhaupt, wo ist das Blatt her? Was hat es hier zu suchen? Hier ist doch kein Wald, glaube
ich jedenfalls, denke ich bin mitten in der Hauptstadt, und hier sind doch nur Häuser und
keine Bäume… Gibt es hier in Bonn überhaupt Bäume? Ja klar, im Hofgarten sind doch
Bäume, aber der ist weit weg, bestimmt zehn Minuten zu Fuß von hier, aber halt, gerade
fällt mir ein, auf die Wiese vorm Obdachlosenasyl um die Ecke sind auch welche, auf der
Wiese kann man gut sitzen und Bier trinken, haben Achmed und ich auch schon gemacht,
lang ist es her, bestimmt zwei oder drei Jahre… Wie die Zeit vergeht… Aber wie kommt ein
Blatt hier herauf? Im Stadthaus sind doch bestimmt keine Bäume… Jedenfalls keine großen,
und das Blatt sieht aus wie von einem großen Baum, wenn es von einem Baum im
Hofgarten und beim Obdachlosenasyl ist, müsste es mindestens eine Treppe hinauf, wir sind
doch hier im ersten Stock… Kompliziert… Hmn… Wahrscheinlich hat es ein Tier im Maul
heraufgeschleppt, oder es ist vom Wind hier hin gepustet worden, aber in der Stadt gibt es
doch keine wilden Tiere, aber jede Menge Hunde und Katzen… Nee, datt mit dem Wind ist