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Impuls 2007 - iti-germany.de

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„Europäisch kooperieren und produzieren“<br />

Das 21. Jahrhun<strong>de</strong>rt wird hoffentlich das europäische<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, wie Mark Leonard das ausgedrückt<br />

hat. Nach <strong>de</strong>m Irakkrieg, nach dieser Katastrophe, wird<br />

es nicht mehr darum gehen, dass bestimmte Administrationen<br />

diese o<strong>de</strong>r jene Pol<strong>iti</strong>k formulieren, son<strong>de</strong>rn<br />

es wird darum gehen, dass wir ein langfristiges Mo<strong>de</strong>ll<br />

<strong>de</strong>s Interessenausgleichs auf kosmopol<strong>iti</strong>scher Grundlage<br />

fin<strong>de</strong>n. Und hier hat Europa die Kernaufgabe. Es<br />

geht um die Balance, die Welt nicht einer Superpower<br />

zu überlassen; um Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns in <strong>de</strong>r Globalisierung,<br />

einer fairen Entwicklung und <strong>de</strong>s ökologischen<br />

Bewahrens. Auch hier, das ist meine zweite These, muss<br />

Europa stärker wer<strong>de</strong>n. Aber wie<strong>de</strong>r stellt sich die Frage:<br />

Auf welchen Werten basiert diese Stärke? Wie verhin<strong>de</strong>rt<br />

man, dass Europa ein un<strong>de</strong>mokratisches Empire<br />

wird und wie macht man es gleichze<strong>iti</strong>g stark? Denn die<br />

Alternative zur Stärke wäre, z.B. ein Museum zu wer<strong>de</strong>n,<br />

ein Museum <strong>de</strong>r Welt, ein Museum <strong>de</strong>r Vielfalt.<br />

Diese zwei ambivalenten Umkreisungen <strong>de</strong>s Verhältnisses<br />

von Stärke und Fairness/Demokratie werfen im<br />

Detail Fragen <strong>de</strong>r Effizienz <strong>de</strong>r europäischen Institutionen<br />

auf, Fragen <strong>de</strong>r Demokratie <strong>de</strong>r europäischen Institutionen<br />

und vor allem <strong>de</strong>r pol<strong>iti</strong>schen Kultur. Es geht um<br />

Kr<strong>iti</strong>k und Partizipation, Sich Einlassen und Mitgestalten.<br />

Wenn es aber um das Verstehen und Mitgestalten einer<br />

Sprache für diese neuen pol<strong>iti</strong>schen Konstellationen um<br />

uns herum geht – dann bekommt das Wort „Kulturschaffen<strong>de</strong>“<br />

eine völlig neue Be<strong>de</strong>utung. Dieser Ausdruck<br />

meint dann, dass die Kreativen eine völlig neue<br />

pol<strong>iti</strong>sche Kultur mit schaffen wer<strong>de</strong>n. Die Künstler wer<strong>de</strong>n<br />

zu Partisanen <strong>de</strong>r Übersetzung dieser Dilemmata, zu<br />

Partisanen <strong>de</strong>r Kr<strong>iti</strong>k – wie schon von alters her.<br />

Für mich persönlich zeigte die aktuelle documenta<br />

in Kassel, kuratiert von Roger-Martin Buergel, wie sich<br />

in einem kosmopol<strong>iti</strong>schen Kontext vermeintliche Sicherheiten<br />

auflösen und viele Fragen stellen. Die Ausstellung<br />

gab wun<strong>de</strong>rbare Belege, dass Kunst und Kultur<br />

selbst nicht unschuldig sind, son<strong>de</strong>rn sich immer<br />

auch selbst schuldig gemacht haben. Dieses Wissen um<br />

Verletzbarkeit und Verführbarkeit wird für die Neugestaltung<br />

<strong>de</strong>s Verhältnisses von Kunst und Europa ausschlaggebend<br />

sein.<br />

Ich möchte noch eine beson<strong>de</strong>re Herausfor<strong>de</strong>rung benennen:<br />

Der Begriff „Vielfalt“ – auch so ein Mantra-Wort<br />

– verweist auf ein weiteres Problem mit zwei Facetten:<br />

einerseits die Angst, Vielfalt zu verlieren, und an<strong>de</strong>rerseits<br />

die Angst vor zu viel Vielfalt. Wer gehört in Europa<br />

dazu, wer wird eingeschlossen, wer wird ausgeschlossen?<br />

Wenn aber Europa ein kosmopol<strong>iti</strong>sches Projekt ist, wenn<br />

es nicht nur als Projekt auf sich selbst, son<strong>de</strong>rn über sich<br />

hinaus verweist, dann ist die Nation als Einschluss- o<strong>de</strong>r<br />

Ausschlusskriterium<br />

Europäische Kulturpol<strong>iti</strong>k natürlich nicht mehr<br />

die einzige Kategorie,<br />

Ethnizität schon gar nicht. Dann ist die Frage <strong>de</strong>r Erweiterung<br />

ein kerneuropäisches Thema – Stichwort Balkan,<br />

Stichwort Türkei. Dann ist auch die Frage <strong>de</strong>r Migration<br />

ein kerneuropäisches Thema. Auch hier müssen Kunst und<br />

Kultur <strong>de</strong>n Raum offen halten – mit all <strong>de</strong>n Spannungen,<br />

die das möglicherweise produziert.<br />

Zum Abschluss: Europa kann man nicht ohne eine<br />

explizite Kulturpol<strong>iti</strong>k auf europäischer Ebene <strong>de</strong>nken.<br />

Denn sonst gibt es Kulturpol<strong>iti</strong>k, aber sie wird von<br />

an<strong>de</strong>ren etabliert, by <strong>de</strong>fault, wie Mary-Ann <strong>de</strong> Vlieg<br />

das genannt hat. Europäische Kulturpol<strong>iti</strong>k muss aus<br />

<strong>de</strong>m unbewussten und vorpol<strong>iti</strong>schen Raum herausgeholt<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn sonst sind es allein die Märkte, die<br />

bestimmen.<br />

Sie muss in <strong>de</strong>n öffentlichen Raum zurückgeholt<br />

wer<strong>de</strong>n, so schmerzhaft das auch für einen fö<strong>de</strong>ralen<br />

Staat wie Deutschland sein mag. Kulturpol<strong>iti</strong>k als Diversitätspol<strong>iti</strong>k<br />

in Europa muss explizit wer<strong>de</strong>n. Daher geht<br />

es natürlich nicht nur um die För<strong>de</strong>rprogramme <strong>de</strong>r EU<br />

und ihrer Mitgliedsstaaten, son<strong>de</strong>rn es geht in <strong>de</strong>r Tat<br />

um eine Strategie. Daher begrüßen wir in <strong>de</strong>r ECF GL die<br />

Mitteilung <strong>de</strong>r Europäischen Kommission GL , weil sie seit<br />

ganz langer Zeit <strong>de</strong>r erste strategische Text ist, weil sie<br />

aufruft zur Einmischung, weil sie in dieser strategischen<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Zivilgesellschaft einen be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n<br />

Platz einräumt und weil sie drei wichtige Fel<strong>de</strong>r benennt:<br />

erstens Diversität, also die Frage von I<strong>de</strong>ntität<br />

und Vielfalt, zweitens Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit<br />

und Kultur, und drittens Europa in <strong>de</strong>r Welt.<br />

Wenn es <strong>de</strong>n Pol<strong>iti</strong>kern in Brüssel und in <strong>de</strong>n Hauptstädten<br />

gelingt, und wenn es uns gelingt, diese Agenda<br />

zum Leben zu erwecken, dann schaut Europa in zehn,<br />

fünfzehn Jahren an<strong>de</strong>rs aus. Das geht aber nicht, wenn<br />

wir diesen Prozess wie<strong>de</strong>r nur <strong>de</strong>n Eliten in <strong>de</strong>n Hauptstädten<br />

und Staatskanzleien überlassen.<br />

Eine <strong>de</strong>r wesentlichen Schlussfolgerungen aus diesem<br />

Text <strong>de</strong>r EU-Kommission ist: Wenn wir uns nicht<br />

einmischen, kann dieses Projekt nicht gelingen. Deshalb<br />

bin ich froh, dass die Veranstalter hier in Berlin<br />

diese Fragen so zentral stellen; natürlich aus Anlass <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Ratspräsi<strong>de</strong>ntschaft, aber auch darüber hinausgehend.<br />

Und gera<strong>de</strong> Deutschland ist ja für die Formulierung<br />

einer zukünftigen europäischen Kulturpol<strong>iti</strong>k<br />

ein beson<strong>de</strong>rs sensibles Land.<br />

Neben diesem sehr langwierigen Prozess wer<strong>de</strong>n wir<br />

auch kurzfristige Erfolge brauchen. Daher möchte ich<br />

einen konkreten Appell formulieren. Das ist ein Appell<br />

an die europäischen Institutionen, konkrete Maßnahmen<br />

2008 zu lancieren, und das ist auch ein Appell an<br />

die Teilnehmer dieses Symposiums, diese Maßnahmen<br />

zu unterstützen.<br />

Das einfachste wäre, etwas zu schaffen, was vergleichbar<br />

im Bildungsbereich schon seit 15 Jahren<br />

Mobilität<br />

existiert, nämlich ein gutes Mobilitätsprogramm<br />

für junge Kulturschaffen<strong>de</strong><br />

und Künstler in Europa. Das Bildungsprogramm<br />

ERASMUS hat im Hochschulbereich<br />

rund 1,5 Millionen Menschen bewegt. Es hat mindsets<br />

geän<strong>de</strong>rt. Lasst uns ein Pilotprojekt auflegen, für ein<br />

Mobilitätsprogramm für junge Kulturschaffen<strong>de</strong> und<br />

Künstler. Lasst uns damit 2008 beginnen – im Jahr <strong>de</strong>s<br />

interkulturellen Dialogs. Und lasst uns zeigen, was diese<br />

Invest<strong>iti</strong>on in Kunst und Kultur leisten kann – zu unser<br />

aller Wohl.<br />

Vielen Dank.<br />

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