Impuls 2007 - iti-germany.de
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„Europäisch kooperieren und produzieren“<br />
Es gibt auch ein paar weiche Faktoren, die mir Sorge<br />
machen. Der inhaltliche Wettbewerb ist das beleben<strong>de</strong><br />
Element <strong>de</strong>s Theaters. Aber wenn es dann in eine<br />
ökonomische Konkurrenz geht, fürchte ich manchmal<br />
doch sehr, dass sich im Theater allgemein, je<strong>de</strong>r klebt<br />
an seinem Job, so etwas wie Revierförsterei breit macht.<br />
Dieses Abstecken von „claims“ hat sehr stark zugenommen<br />
- auch als Konkurrenzsituation in <strong>de</strong>n Ensembles.<br />
Ich sehe das auch mit <strong>de</strong>m Blick von außen, weil ich<br />
nicht nur in Deutschland arbeite.<br />
Diese materielle Situation <strong>de</strong>r Künstler hat Auswirkungen<br />
auf die Theater. Es ist allerdings schwer, das<br />
genau zu analysieren, weil man an die Statistiken z.T.<br />
nicht heran kommt. Ich bin selbst mehrmals daran gescheitert,<br />
als ich dies im Hinblick auf meine Arbeit in <strong>de</strong>r<br />
UNESCO untersuchen wollte. Es wäre daher durchaus<br />
wichtig, dass wir bald auf ein einheitliches, europäisch<br />
vergleichbares System <strong>de</strong>r Datenerhebung, was die soziale<br />
Lage <strong>de</strong>r Künstler angeht, zurückgreifen könnten,<br />
um herauszufin<strong>de</strong>n, wie die Beschäftigungslage wirklich<br />
ist. Da müssten auch die Gewerkschaften aktiver<br />
wer<strong>de</strong>n. Die Gewerkschaften sind da gefor<strong>de</strong>rt, genauso<br />
wie die Theaterverbän<strong>de</strong>.<br />
Schlussbemerkung: Ich glaube, es muss auf einen<br />
europäischen Report hinauslaufen. Und <strong>de</strong>r wür<strong>de</strong><br />
auch von <strong>de</strong>r Pol<strong>iti</strong>k begrüßt wer<strong>de</strong>n, weil es <strong>de</strong>mentsprechen<strong>de</strong><br />
In<strong>iti</strong>ativen, ich beziehe mich da auf die<br />
Entschließung zur Situation <strong>de</strong>r Künstler GL , im Europäischen<br />
Parlament gibt. Danke.<br />
Freundt:<br />
In genau dieser Entschließung <strong>de</strong>s Europäischen<br />
Parlaments GL wur<strong>de</strong> noch einmal festgehalten, dass<br />
es um die Anerkennung <strong>de</strong>s sozialen Status <strong>de</strong>r<br />
Künstler gehen muss, dass es darum gehen muss,<br />
die arbeitsrechtlichen Systeme in Europa aneinan<strong>de</strong>r<br />
anzugleichen, dass Vergleichbarkeiten und Anschlusssysteme<br />
geschaffen wer<strong>de</strong>n müssen. Und da<br />
wird auch die Frage gestellt: was gilt als Arbeitszeit<br />
<strong>de</strong>s Künstlers? Ist es nur die im Vertrag festgehaltene<br />
Proben- und Auftrittszeit? O<strong>de</strong>r wird auch die individuelle<br />
Trainings- und Vorbereitungszeit angerechnet,<br />
wenn es später um Rente o<strong>de</strong>r um soziale Absicherung<br />
geht?<br />
Das Stichwort, dass wir Informationen brauchen,<br />
dass wir unsere Kräfte sammeln müssen, um in diesem<br />
Prozess weiter im Spiel zu bleiben, wür<strong>de</strong> ich gern als<br />
Überleitung zu Nele Hertling aufgreifen, die in ihrer<br />
Arbeit für <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>s „Netzwerkens“ steht, für<br />
<strong>de</strong>n Dialog, auch <strong>de</strong>n kontinuierlichen Dialog mit <strong>de</strong>r<br />
Pol<strong>iti</strong>k. Ich gebe Ihnen, Frau Hertling, das Wort für Anmerkungen.<br />
Was ist zu beachten, wenn wir diesen<br />
Dialog zwischen Künstlern und Pol<strong>iti</strong>k weiterbewegen<br />
wollen? Und was sollte aus Ihrer Sicht <strong>de</strong>n Pol<strong>iti</strong>kern<br />
als wichtigster Punkt übergeben wer<strong>de</strong>n?<br />
Hertling:<br />
Erlauben sie mir noch eine ganz kurze Bemerkung<br />
zur Frage <strong>de</strong>r sozialen Lage. Man muss natürlich immer<br />
davon ausgehen, dass wir in manchen Län<strong>de</strong>rn und vor<br />
allen Dingen in <strong>de</strong>n neuen Beitrittslän<strong>de</strong>rn ganz unterschiedliche<br />
Situationen haben. Ich war in Avignon<br />
zugegen, als die Künstler zu Protesten aufriefen. Da<br />
waren in diesem Jahr sehr viele osteuropäische o<strong>de</strong>r lateinamerikanische<br />
Kompanien, die<br />
Soziale Lage<br />
überhaupt nicht verstehen konnten,<br />
auf welch einem hohen Niveau<br />
<strong>de</strong>r Künstler<br />
die französischen Künstler in einen Protest gingen, aus<br />
einer Lage heraus, von <strong>de</strong>r sie nur träumen konnten.<br />
Ich glaube, es ist eine europäische Aufgabe, dass wir<br />
hier nicht eine Zweiklassensituation zwischen <strong>de</strong>n alten<br />
und <strong>de</strong>n neuen Län<strong>de</strong>rn schaffen, auch was die soziale<br />
Lage betrifft. Und zum Beitrag von Hanns-Dietrich<br />
Schmidt wollte ich noch sagen, dass ich <strong>de</strong>r Meinung<br />
bin, dass es kaum Kulturstädte gab, die so pol<strong>iti</strong>sch waren<br />
wie Amsterdam, Berlin und Glasgow. Glasgow hat<br />
ein extrem urbanistisches Programm gehabt. Amsterdam<br />
hat sich extrem um Migranten gekümmert. Und<br />
Berlin hatte nicht ein repräsentatives Projekt, son<strong>de</strong>rn<br />
hatte die Aufgabe übernommen, 1988 die junge Kunst<br />
aus Mittel- und Osteuropa durch <strong>de</strong>n Eisernen Vorhang<br />
zu bringen, was uns auch weitgehend gelungen<br />
ist. Weshalb ich das sage: Ich fin<strong>de</strong> es furchtbar, dass<br />
in <strong>de</strong>n späteren Kulturhauptstädten mehr und mehr<br />
Verwaltung und pol<strong>iti</strong>sche Kräfte die Programme bestimmt<br />
haben. In <strong>de</strong>n ersten Jahren waren es Kulturleute,<br />
die es in ihrem Sinne versucht haben. Später kippte<br />
das, und das ist etwas, wo man generell sehr aufpassen<br />
muss. Ich fand, das war eine furchtbare Entwicklung.<br />
Jetzt merkt man, dass es wie<strong>de</strong>r in die an<strong>de</strong>re Richtung<br />
geht, das ist ganz entschei<strong>de</strong>nd.<br />
Zu <strong>de</strong>m, was heute gesagt wur<strong>de</strong>: Wir haben sehr<br />
viele pos<strong>iti</strong>ve Vorschläge, sehr viel interessante Analysen<br />
gehört. Aber wie ist das alles weiterzugeben? Wo<br />
sind die Kräfte, die für die<br />
Implementierung sorgen? Pol<strong>iti</strong>scher Dialog<br />
Es hat jetzt keinen Sinn, hier<br />
groß darüber zu lamentieren, dass die Zwischenschritte<br />
noch viel schwieriger sein wer<strong>de</strong>n, als sich die guten<br />
I<strong>de</strong>en auszu<strong>de</strong>nken und die Pol<strong>iti</strong>ker anzuklagen; das<br />
geht leicht. Aber wo sind die Schnittstellen? Wie, wenn<br />
nicht gemeinsam, kriegen wir beispielsweise zustan<strong>de</strong>,<br />
was Gottfried Wagner gesagt hat: die Kultur als<br />
Gegenmacht zum Marktmechanismus zu etablieren?<br />
Die Kultur ist in Europa nach wie vor keine eigenständige<br />
Macht im pol<strong>iti</strong>schen Sinne. Wie können wir das<br />
überwin<strong>de</strong>n? Alle Pol<strong>iti</strong>kfel<strong>de</strong>r haben in Brüssel eine<br />
Be<strong>de</strong>utung, allein die Kultur hat bisher, Stichwort Sub-<br />
sidiarität GL , keine europäische<br />
pol<strong>iti</strong>sche Be<strong>de</strong>utung. Ganz<br />
sicher hängt das Defizit <strong>de</strong>r<br />
Europäische<br />
Kulturpol<strong>iti</strong>k<br />
Sichtbarkeit und auch <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rungspol<strong>iti</strong>k damit zusammen.<br />
Wie schaffen wir es, <strong>de</strong>r Kultur gegen viele<br />
an<strong>de</strong>re Argumente und Kräfte diese sichtbar gleichberechtigte,<br />
wenn nicht gar höhere Be<strong>de</strong>utung zu geben?<br />
Wir alle sagen, Europa ist ein kultureller Prozess.<br />
Und dieser kulturelle Prozess wird getragen von einer<br />
Zivilgesellschaft, sprich von <strong>de</strong>r Kultur. Von uns! Wir<br />
sind es ja im Grun<strong>de</strong> genommen, die Europa sind<br />
und die Europa schaffen müssen. Und ich weise noch<br />
einmal darauf hin: Wenn wir es nicht schaffen, auch aus<br />
<strong>de</strong>n kulturellen Kräften, aus <strong>de</strong>n künstlerischen Kräften<br />
heraus, diese Aufgabe zu <strong>de</strong>r unsrigen zu machen und<br />
nicht einfach nur als Bittsteller aufzutreten, son<strong>de</strong>rn als<br />
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