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Impuls 2007 - iti-germany.de

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„Europäisch kooperieren und produzieren“<br />

Jochen Sandig<br />

Direktor Sasha Waltz & Guests,<br />

künstlerischer Leiter Radialsystem V, Berlin<br />

Ich möchte noch einmal mit einer Metapher beginnen,<br />

die hier bereits strapaziert wur<strong>de</strong>: Wenn die Kultur<br />

<strong>de</strong>r Motor für Europa sein soll, dann stellt sich die Frage:<br />

Was ist das Vehikel? Woher kommt <strong>de</strong>r Treibstoff und<br />

wohin geht die Fahrt? Wenn wir uns bewegen wollen,<br />

brauchen wir auch ein Ziel. Ich habe jedoch das Gefühl,<br />

dass viele Mittel verausgabt wer<strong>de</strong>n, um einen Motor in<br />

Gang zu setzen, <strong>de</strong>r viel Treibstoff verbraucht, dass es<br />

aber <strong>de</strong>n Ort, wo man hin möchte, nicht wirklich gibt,<br />

auch <strong>de</strong>shalb, weil wir ein merkwürdiges Verständnis<br />

von Europa haben. Ruth Hieronymi sagte vorhin, dass<br />

wir zwar Deutsche seien, gleichze<strong>iti</strong>g aber auch Europäer.<br />

Das wird häufig übersehen. Pol<strong>iti</strong>ker re<strong>de</strong>n oft so,<br />

als seien das zwei verschie<strong>de</strong>ne Dinge, aber in <strong>de</strong>r praktischen<br />

Erfahrung von Künstlern und Kulturschaffen<strong>de</strong>n<br />

gehört das tatsächlich zusammen.<br />

Mit an<strong>de</strong>ren Worten: Wenn wir in Europa investieren<br />

und dabei auch unsere Nationen damit meinen, dann<br />

ist dies kein verlorenes Geld. Womit ich zum Treibstoff<br />

zurückkomme. Investive Mittel sind nur dann investive<br />

Mittel, wenn wir davon überzeugt sind, dass sie nicht<br />

verbrannt wer<strong>de</strong>n, wenn sie nicht einen leer laufen<strong>de</strong>n<br />

Motor anheizen, son<strong>de</strong>rn wenn sie auf ökonomischunternehmerische<br />

Weise eingesetzt wer<strong>de</strong>n, um einen<br />

Effekt hervorzurufen, einen return of investment, um einen<br />

Gewinn zu erzeugen. Damit<br />

Kulturför<strong>de</strong>rung:<br />

komme ich auf Thomas Lehmen<br />

Projektför<strong>de</strong>rung vs.<br />

zurück, <strong>de</strong>r zu Recht for<strong>de</strong>rt, dass<br />

Institutionelle För<strong>de</strong>rung<br />

dieser messbare Erfolg in <strong>de</strong>r Kultur<br />

nicht wirtschaftlichen Prinzipien allein unterworfen<br />

sein darf, <strong>de</strong>nn das wäre zu kurzfristig gedacht, zu kurzsichtig.<br />

D.h. auf <strong>de</strong>r einen Seite muss die Freiheit <strong>de</strong>s<br />

Künstlers erhalten bleiben, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite<br />

muss in Strukturen investiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Ich hatte einmal das Vergnügen, habe es dann aber<br />

lei<strong>de</strong>r als eine Last empfun<strong>de</strong>n, bei einer Antragsrun<strong>de</strong><br />

von Kaleidoskop o<strong>de</strong>r Kultur 2000 GL eine Woche in<br />

Brüssel zu verbringen. Es war kafkaesk. Verschie<strong>de</strong>ne<br />

Län<strong>de</strong>rvertreter durften die Anträge sichten und in vielen<br />

Anträgen fand ich genau das, was Rolf Dennemann<br />

beschrieb: kurzfristig, mit heißer Na<strong>de</strong>l gestrickte Anträge,<br />

bei <strong>de</strong>nen sich kurz vor Abgabeschluss ein paar<br />

Leute zusammentelefoniert haben, um ein Projekt auf<br />

<strong>de</strong>n Weg zu bringen. Wirklich spannend erschienen uns<br />

aber gera<strong>de</strong> die Projekte, die am wenigsten stichhaltig<br />

formuliert waren. Man hatte das Gefühl, dass diejenigen,<br />

die die Gel<strong>de</strong>r beantragen und diejenigen, die<br />

über die Gel<strong>de</strong>r zu entschei<strong>de</strong>n haben, viel zu wenig<br />

zusammen arbeiten. Wenn wir davon ausgehen, dass<br />

Europa sozusagen die Hardware ist, dann sind wir – die<br />

Künstler, die Pol<strong>iti</strong>ker und Verwalter (es wird oft von <strong>de</strong>n<br />

Pol<strong>iti</strong>kern, aber viel zu wenig von<br />

EU-För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>n Verwaltern, <strong>de</strong>n Bürokraten,<br />

gesprochen), und schließlich die<br />

Programmmacher in <strong>de</strong>n Häusern – die Softwareentwickler.<br />

Diese drei Elemente müssen viel enger zusammen<br />

arbeiten. Wenn wir betriebwirtschaftlich „Marke<br />

Europa“, „Firma Europa“ sagen, dann müssen wir viel<br />

mehr in die Kommunikation <strong>de</strong>r einzelnen „Firmenbereiche“<br />

investieren und diesen Prozess gemeinschaftlich<br />

bewegen. Das kann nur gelingen, wenn wir Anreize<br />

schaffen, diese pol<strong>iti</strong>schen Tätigkeiten zu verbessern.<br />

Pol<strong>iti</strong>ker wie Frank-Walter Steinmeier haben dieses Feld<br />

längst für sich erkannt. Er hat als Außenminister die<br />

Kultur zur Chefsache erklärt, hat eine neue Dynamik in<br />

diesem Bereich geschaffen, wovon er jetzt prof<strong>iti</strong>ert. Er<br />

hat sich über die Kultur noch einmal einen Stellenwert<br />

geschaffen. Auch auf an<strong>de</strong>ren pol<strong>iti</strong>schen und bürokratischen<br />

Ebenen müssten Anreize geschaffen wer<strong>de</strong>n, so<br />

zu han<strong>de</strong>ln. Ich schlage daher vor, einen Preis für <strong>de</strong>n<br />

kreativsten europäischen Verwaltungsbeamten/in<br />

auszuloben. Warum nicht 50.000 Euro für einen Europäischen<br />

Verwaltungskreativpreis ausloben? Das wür<strong>de</strong><br />

einen ungeheuer kreativen Prozess in Gang setzen.<br />

Dass wir alle kreativ sind,<br />

darin brauchen wir uns nicht<br />

zu bestätigen, aber kreative<br />

Pol<strong>iti</strong>ker, kreative Verwal-<br />

Kulturför<strong>de</strong>rung:<br />

EU- und nationale Ebene<br />

tungsleute – das ist es, was wir brauchen. Genau da ist<br />

eine Verstärkung und Intensivierung nötig.<br />

Eine an<strong>de</strong>re For<strong>de</strong>rung o<strong>de</strong>r Anregung: Warum<br />

grün<strong>de</strong>n wir nicht in allen europäischen Län<strong>de</strong>rn europäische<br />

Produktionshäuser, die Mittel bekommen,<br />

um sie direkt an Künstler o<strong>de</strong>r Projekte national, regional<br />

o<strong>de</strong>r lokal zu vergeben. Ich bin davon überzeugt,<br />

dass dies <strong>de</strong>r richtigere Wege wäre, <strong>de</strong>nn das Wissen<br />

über die Künstler, die konkret an <strong>de</strong>r Basis die spannendsten<br />

Projekte entwickeln, sitzt nicht in Brüssel.<br />

Wir müssen viel besser analysieren, was <strong>de</strong>r Effekt<br />

von Invest<strong>iti</strong>onen im Kulturbereich ist. Denn sobald<br />

man sieht, dass eine Invest<strong>iti</strong>on im Kulturbereich sich<br />

rechnet – nicht nur ökonomisch gesehen, son<strong>de</strong>rn auch<br />

als Schaffung kultureller Werte – wird die Bereitschaft,<br />

mehr Geld auszugeben, enorm wachsen.<br />

Wir müssen alles daran setzen, dass sich Kreativität<br />

weiter entwickeln kann. Mobilität<br />

ist da ein Thema, das sich auch auf Mobilität<br />

die Mobilität im digitalen Raum<br />

ausweiten lässt. Die Schaffung zugänglicher W-LAN-<br />

Netze wäre hier als Beispiel zu nennen.<br />

Wir brauchen einen geschützten Raum, wo auch<br />

länger Zeit ist, um nachzu<strong>de</strong>nken; wo finanzielle Ressourcen<br />

für die Entwicklung von I<strong>de</strong>en bereitgestellt<br />

wer<strong>de</strong>n. Ich nenne das Inkubatoren, Räume, in <strong>de</strong>nen<br />

I<strong>de</strong>en geboren wer<strong>de</strong>n können, Brutkästen <strong>de</strong>r weiteren<br />

Entwicklungen. Im Vergleich zur Projektför<strong>de</strong>rung als<br />

Produktfinanzierung – wir wollen Aufführungen sehen,<br />

Festivals erleben – wäre dies die För<strong>de</strong>rung von I<strong>de</strong>en,<br />

die zunächst kein Ergebnis hervorbringen. Es müssten<br />

substantielle Mittel zur Verfügung gestellt wer<strong>de</strong>n, damit<br />

Künstler, Verwalter und Pol<strong>iti</strong>ker über diese Prozesse<br />

nach<strong>de</strong>nken können. Sperren wir alle eine Woche lang<br />

in einen Raum ein. Ich bin überzeugt davon, dass wir<br />

ein besseres Ergebnis bekommen wer<strong>de</strong>n als wir es bei<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rze<strong>iti</strong>gen Trennung von kreativen Antragstellern<br />

und zur kafkaesken Bearbeitung <strong>de</strong>r Anträge verurteilten<br />

Bürokraten haben.<br />

Noch ein letztes Wort zum Thema Koproduktion.<br />

Das ist eben nicht die I<strong>de</strong>e eines Einzelnen, <strong>de</strong>r mög-<br />

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