Impuls 2007 - iti-germany.de
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„Europäisch kooperieren und produzieren“<br />
Von <strong>de</strong>r EU wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gedanke formuliert, ein gesamteuropäisches<br />
Bewusstsein durch <strong>de</strong>n mobilen<br />
flexiblen Künstler hervorzurufen. Sprich, man bekommt<br />
Geld, wenn man diesen Leitgedanken mit seiner<br />
Kunst transportiert.<br />
Einerseits ist dies eine pol<strong>iti</strong>sche For<strong>de</strong>rung, die eigentlich<br />
nicht mit <strong>de</strong>n Grundlagen einer freien künstlerischen<br />
und kulturellen Ausübung einhergeht. An<strong>de</strong>rerseits<br />
geht diese For<strong>de</strong>rung nicht weit genug, <strong>de</strong>nn was<br />
sind <strong>de</strong>nn eigentlich die Stärken <strong>de</strong>r Kunst, <strong>de</strong>s Kunstaustausches?<br />
Was kann <strong>de</strong>nn die Kunst leisten, was die<br />
Wirtschaft, die Erziehung o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re soziale System<br />
nicht leisten kann?<br />
Und, tut die Kunst das Verlangte nicht schon immer?<br />
Ist es nicht das kunsteigene Interesse in Differenz<br />
zu treten, von <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nheit zu lernen, um immer<br />
wie<strong>de</strong>r eine neue Differenz zu kreieren? Waren es<br />
nicht Künstler und Produzenten, die als erste in <strong>de</strong>r<br />
Lage waren menschlich miteinan<strong>de</strong>r zu kommunizieren,<br />
während es in <strong>de</strong>r Pol<strong>iti</strong>k noch um Besitz, Macht<br />
und höchstenfalls i<strong>de</strong>ologische Auseinan<strong>de</strong>rsetzung,<br />
allerdings mit kriegerischen Mitteln, ging?<br />
Kulturför<strong>de</strong>rung:<br />
Projektför<strong>de</strong>rung vs.<br />
Institutionelle För<strong>de</strong>rung<br />
Produzenten und Künstler<br />
praktizieren lange schon diesen<br />
gefor<strong>de</strong>rten Austausch, das<br />
Touren und die Kooperation,<br />
aus einem künstlerischen Interesse heraus. Es braucht<br />
keine weiteren Zwänge dies zu tun.<br />
Woran es fehlt, sind Strukturen und Menschen, die<br />
unkompliziert und direkt über Räumlichkeiten und Mit-<br />
tel verfügen, um sie <strong>de</strong>r Kunstpraxis zur Verfügung zu<br />
stellen, ohne sofortige, zählbare, vorzeigbare, in <strong>de</strong>n<br />
pol<strong>iti</strong>schen Kontext einzubin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, benutzbare Ergebnisse<br />
zu erwarten. Europa ist überall. Nicht nur in Bukarest,<br />
Warschau, Tallinn und vielen weiteren Orten <strong>de</strong>r<br />
neuen Beitrittslän<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn Europa ist auch Berlin,<br />
Hamburg, Essen, Gelsenkirchen,<br />
Saarbrücken, Cottbus<br />
und Finsterwal<strong>de</strong>.<br />
Dialog zwischen<br />
Kultur und Pol<strong>iti</strong>k<br />
In allen Orten und Einrichtungen arbeiten bereits<br />
Menschen, die von <strong>de</strong>r lokalen Szene und <strong>de</strong>m dort<br />
Benötigten am meisten verstehen. Ein direkter Dialog<br />
mit diesen Produzenten und nicht zuletzt auch mit<br />
<strong>de</strong>n Künstlern selbst wäre hier seitens <strong>de</strong>r EU von<br />
Nöten. Fällt die lokale Struktur <strong>de</strong>n wirtschaftlichen<br />
Zwängen und Themen zum Opfer, wird man bald keinen<br />
konstruktiven Beitrag zum europäischen Gedanken<br />
mehr machen können und dies führt zu einer qualitativen<br />
Schwächung <strong>de</strong>s Gesamten.<br />
Wirtschaftliche Strategien sind nur begrenzt o<strong>de</strong>r<br />
gar nicht für <strong>de</strong>n Betrieb <strong>de</strong>r Kunst tauglich.<br />
Ich möchte eine Auseinan<strong>de</strong>rsetzung über die I<strong>de</strong>en<br />
anregen, nach <strong>de</strong>nen wir unsere Mo<strong>de</strong>lle einer europäischen<br />
För<strong>de</strong>rung und eines Europäischen Netzwerkgedankens<br />
praktikabel auf die realen unterschiedlichen<br />
Notwendigkeiten <strong>de</strong>r Künstler und <strong>de</strong>r Gesellschaft neu<br />
ausrichten können.<br />
Janek Müller<br />
Künstlerischer Leiter Theaterhaus Weimar<br />
Die In<strong>iti</strong>ative Theaterhaus Weimar ist eine ohne<br />
Immobilie seit 1999 existieren<strong>de</strong> Künstlergruppe in<br />
Weimar, <strong>de</strong>ren Inhalte und Formen sich immer wie<strong>de</strong>r<br />
gewan<strong>de</strong>lt haben und wan<strong>de</strong>ln und die sich von <strong>de</strong>r<br />
dünn besie<strong>de</strong>lten Freien Theaterlandschaft im Osten<br />
seit einigen Jahren immer wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Weg macht,<br />
um vornehmlich mit Künstlern in Polen und Lettland<br />
zusammen zu arbeiten. Mein Name ist Janek Müller.<br />
Zunächst möchte ich ein Projekt vorstellen, das meine<br />
Weimarer Mitkünstler und ich in <strong>de</strong>r letzten Zeit im<br />
Sinne <strong>de</strong>r europäischen Zusammenarbeit beschäftigt<br />
hat. Eben komme ich aus Riga, <strong>de</strong>r lettischen Hauptstadt,<br />
wo im Mai diesen Jahres eine Aufführung <strong>de</strong>r<br />
„Räuber“ stattfand. Zwar auf Friedrich Schillers Erstling<br />
basierend, aber quasi in einer Uraufführung <strong>de</strong>r bisher<br />
links liegen gelassenen Übersetzung eines jungen<br />
Letten aus <strong>de</strong>m Jahre 1818. Dieser junge Mann, Janis<br />
Peitans, hatte seinen Gutsherren in ein Theater begleitet<br />
und war von <strong>de</strong>m, was er dort zu sehen und zu<br />
hören bekam, <strong>de</strong>r pol<strong>iti</strong>schen Brisanz <strong>de</strong>r „Räuber“ <strong>de</strong>rart<br />
begeistert, dass er sich daran machte, das Drama<br />
zu übersetzen und es nach 3jähriger Arbeit mit seinen<br />
Kumpels in einer Scheune aufzuführen. Wir haben hier<br />
nicht nur ein schönes Beispiel für <strong>de</strong>n Kultur- und I<strong>de</strong>en-<br />
transfer zu Beginn <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts, son<strong>de</strong>rn auch<br />
einen Stichpunkt in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s Freien Theaters:<br />
Jemand hat eine I<strong>de</strong>e, fragt seine Kumpels, ob sie mitmachen<br />
und an einem abse<strong>iti</strong>g gelegenen Ort wie einer<br />
Scheune wird die Sache dann aufgeführt. Übrigens floh<br />
Janis Peitans wenig später, um <strong>de</strong>r Leibeigenschaft zu<br />
entkommen.<br />
Ebenso lange wie Peitans Übersetzung, fast 3 Jahre<br />
also, dauerte nun die Vorbereitung <strong>de</strong>r Produktion<br />
<strong>de</strong>r lettischen „Räuber“<br />
gemeinsam mit <strong>de</strong>r Rigaer<br />
Gruppe „United Intimacy“<br />
und freundlicherweise hat<br />
hier das Goethe-Institut GL<br />
München im Rahmen <strong>de</strong>r<br />
Rolle <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rer<br />
Bsp. Goethe Institut<br />
München und<br />
Kultur Kapital Fonds Riga<br />
Nachwuchsför<strong>de</strong>rung neben <strong>de</strong>m Kultur Kapital Fonds<br />
Riga Gel<strong>de</strong>r bereitgestellt. 2005 entstand im Rahmen<br />
<strong>de</strong>s Schillerfestivals „Räuber und Gendarmen“ in Weimar<br />
die I<strong>de</strong>e zur Aufführung, es brauchte die Zeit, die<br />
Textvorlage aus <strong>de</strong>n Originalaufzeichnungen im Archiv<br />
zu transkribieren, eine Fassung zu erstellen, Darsteller<br />
und ein Produktionsteam zu fin<strong>de</strong>n. Aufgeführt wur<strong>de</strong><br />
in lettischer Sprache.<br />
Meine Erfahrungen mit <strong>de</strong>m Projekt formulieren<br />
sich schließlich in zwei Fragen:<br />
Erstens, wie gelingt es, innerhalb von Projekten, die<br />
auf Sprache basieren, die Vielfalt <strong>de</strong>s europäischen<br />
Sprachraums zu entwickeln? Was be<strong>de</strong>utet z.B. das<br />
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