Anhörung zum Bleiberecht für langjährig geduldete ... - Pro Asyl
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Anke Wagener-Nordelbische Ev. Luth. Kirche<br />
14. <strong>Bleiberecht</strong> <strong>für</strong><br />
Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge<br />
Anke Wagener<br />
Erlauben Sie mir<br />
bitte, dass ich aus<br />
der Bibel zitiere,<br />
wie ich es immer<br />
dann tue, wenn<br />
ich in Hamburg<br />
ehrenamtliche<br />
Vormünder werbe.<br />
"Und Jesus<br />
stellte ein Kind<br />
in ihre Mitte, und<br />
er sagte, wenn<br />
ihr dieses Kind<br />
aufnehmt, nehmt<br />
ihr mich auf."<br />
Ich hoffe, dieses Zitat richtig wiedergegeben zu haben.<br />
Dieser Bibeltext bewegt Ehrenamtliche häufig<br />
dazu, Vormundschaften <strong>für</strong> Flüchtlingskinder zu<br />
übernehmen.<br />
Von einigen Betroffenen haben wir heute bereits<br />
gehört, welche <strong>Pro</strong>bleme ihnen das Verwaltungshandeln<br />
bereitet. Von diesen <strong>Pro</strong>blemen sind auch<br />
viele Flüchtlingskinder betroffen. Damit Sie verstehen,<br />
wie es diesen Kindern geht, möchte ich Ihnen<br />
einige Beispiele nennen und durch diese Beispiele<br />
quasi die Kinder selbst zu Wort kommen lassen.<br />
In einem Fall, über den ich berichten will, geht es<br />
um sechs Kinder im Alter von sechs bis 17 Jahren,<br />
die der Gruppe der Roma angehören. Fast alle Geschwister<br />
sind in Hamburg geboren worden, der älteste<br />
Junge lebt seit 16 Jahren in dieser Stadt. Die<br />
Kinder sind in Pflegefamilien und Lebensgemeinschaften<br />
in Hamburg untergebracht, denn die Mutter<br />
ist untergetaucht und nicht auffindbar, und der<br />
Vater lebt in Serbien-Montenegro. Seit über einem<br />
Jahr betreibt die Ausländerbehörde die Abschiebung<br />
der Geschwister. Eines der Geschwister, ein<br />
von mir betreuter Junge, hat vor einiger Zeit gesagt,<br />
er kenne gar kein anderes Land als Deutschland, seine<br />
Heimat sei Deutschland. Dieser Junge hat in einem<br />
langen Brief an den Bundespräsidenten seine<br />
Sorgen und Hoffnungen beschrieben.<br />
Eine ehrenamtliche Vormundin und ich reisten in<br />
Begleitung eines NDR-Journalisten vor einiger Zeit<br />
nach Montenegro und bestätigten, dass die kindgerechte<br />
Versorgung der Kinder dort nicht gegeben<br />
ist. In einer Baracke von zwölf Quadratmetern, die<br />
nur aus Holz, Pappe und Stoff besteht und in der es<br />
keine Heizung und kein fließendes Wasser gibt, lebt<br />
der fast blinde, schwer diabeteskranke Vater mit drei<br />
weiteren Kindern. Erwachsene Menschen können<br />
in dieser vielleicht anderthalb Meter hohen Baracke<br />
nicht einmal aufrecht stehen. Der Mann erhält keinerlei<br />
soziale oder finanzielle Unterstützung seitens<br />
der montenegrinischen Behörden.<br />
Dennoch behauptet die Ausländerbehörde, dass er<br />
in der Lage sei, seine Kinder aufzunehmen und aufzuziehen.<br />
In einem weiteren dramatischen Fall will die Ausländerbehörde<br />
einen sechs Jahre alten Jungen abschieben,<br />
dessen Vater, Mutter und Bruder seit Jahren<br />
legal im Hamburg leben. Gerade jetzt, wo dieser<br />
Junge - in der Schule ist er Klassenbeste - beginnt,<br />
Freunde zu finden und sich zu integrieren, soll er<br />
das Land verlassen. Denn seine Familie hatte versäumt,<br />
in seinem Fall den Familiennachzug zu beantragen.<br />
Hier wird deutlich, wie inhuman und absurd<br />
die Bürokratie in vielen Fällen handelt.<br />
Schließlich will ich Ihnen noch von einem dritten<br />
Fall berichten. Es geht dabei um ein zwölf Jahre altes<br />
Mädchen aus Sierra Leone mit einem grausamen<br />
Schicksal. Das Mädchen ist von diesem Schicksal<br />
gezeichnet; als ich sie kennen lernte, hatte sie bereits<br />
das Gesicht einer 30-Jährigen. In dieser Angelegenheit<br />
bat mich ein Student vom sierraleonischen Verein<br />
in Hamburg um Hilfe, da er be<strong>für</strong>chtete, dass<br />
die Behörden das Kind <strong>für</strong> älter erklären werden, so<br />
wie es seit Jahren in Hamburg praktiziert wird.<br />
Das Mädchen zeigte mir damals eine Geburtsurkunde<br />
sowie etliche Fotos ihrer Familie. Einige dieser<br />
Fotos waren sehr grausam, auf ihnen waren Leichen<br />
zu sehen. Diese Fotos haben mich sehr bewegt<br />
und lange beschäftigt. Der Vater des Mädchens ist<br />
ein wichtiger Mann im Militär gewesen. Auf Fragen<br />
nach ihrer Herkunft reagiert das Mädchen immer<br />
noch mit Weinkrämpfen oder mit Apathie. Glücklicherweise<br />
konnte sie in die Familie der Vormundin<br />
Mama Lilo aufgenommen werden. Mit deren Hilfe<br />
blieb es ihr auch erspart, amtlich <strong>für</strong> älter erklärt<br />
und nach Ostdeutschland umverteilt zu werden.<br />
Das Mädchen lebt heute mit zwei weiteren Kinderflüchtlingen<br />
und sechs deutschen Kindern in einem<br />
Hamburger Kinderhaus. Es gelingt nicht oft, so eine<br />
Möglichkeit <strong>für</strong> Flüchtlingskinder zu erstreiten.<br />
Einige Wunden sind geheilt, aber noch immer hat<br />
dieses Mädchen Albträume. Die deutsche Sprache<br />
beherrscht sie mittlerweile perfekt. Sie besucht eine<br />
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