Anhörung zum Bleiberecht für langjährig geduldete ... - Pro Asyl
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Christian Schwarz-Schilling - Internationaler Streitschlichter<br />
tatsächlich hier bleiben sollen, habe ich als ein "öffentliches<br />
Interesse" noch nicht formuliert gehört.<br />
Wenn dies unser Staatsverständnis sein sollte, nehme<br />
ich alles zurück. Bei den entsprechenden Staatsbeamten<br />
habe ich das jedenfalls noch nicht in der<br />
Weise interpretiert gehört.<br />
Wenn ich <strong>zum</strong> Arbeitsamt gegangen bin oder zu einer<br />
Ausländerbehörde, dann war das immer die Frage,<br />
ja wo ist denn hier das "öffentliche Interesse",<br />
dass dieser Mann jetzt hier bleiben muss. Wir werden<br />
sehen, was dieser Unterschied bei der Behörde<br />
bedeuten wird. Es geht in jedem Falle meistens<br />
nicht um den Menschen, sondern es ging dann darum,<br />
ob in der Branche besondere Interessen <strong>für</strong> den<br />
Staat herrschen, wie viele Leute arbeitslos sind, wie<br />
viele Leute vielleicht auch in dieser Branche arbeitslos<br />
sind. Und so wurden, wie ich es erwähnt habe,<br />
die Argumente <strong>für</strong> diesen vor uns stehenden Menschen<br />
durch statistische Fakten zugeschüttet und<br />
die überlegene Antwort der Behörde war immer die<br />
Statistik, die natürlich so anonym ist, dass man jeden<br />
Menschen damit psychisch erschlagen kann.<br />
Von daher gesehen, habe ich große Zweifel, dass z.<br />
Bsp. eine solche Begriffsveränderung, die in dem<br />
neuen Zuwanderungsgesetz eingeführt werden soll,<br />
wirklich eine Änderung in den Entscheidungsparametern<br />
bewirken wird. Nein, wir müssen wieder das<br />
in den Mittelpunkt stellen, was das Grundgesetz in<br />
den Mittelpunkt gerückt hat, dass die Person das<br />
oberste Kriterium in unserem Staat ist. Haben wir<br />
denn vergessen, dass der Unterschied von der Weimarer<br />
Republik zur Bundesrepublik der ist, dass in<br />
der Weimarer Verfassung der Ausgangspunkt aller<br />
weiteren Gesetze der Staat war, währenddessen in<br />
der Bundesrepublik Deutschland das Grundgesetz<br />
seinen Ausgangspunkt bei der Person und seiner<br />
Würde hat und der Staat erst dahinter kommt. Haben<br />
wir in unserem Bewusstsein überhaupt begriffen,<br />
was die Väter und Mütter des Grundgesetzes,<br />
die damals nach der Katastrophe des nationalsozialistischen<br />
Staates beraten haben, sich überhaupt dabei<br />
gedacht haben? Das war sehr bewusst so gemacht<br />
worden und wir müssen das schnellstens<br />
nachvollziehen, denn sonst werden wir den Fährnissen,<br />
vor denen wir stehen, nicht gewachsen sein.<br />
Ich kriege manchmal eine Gänsehaut, wenn ich sehe,<br />
was heute aufgrund der Terrorgefahr an rechtsstaatlichen<br />
Barrieren einfach weggeräumt wird<br />
(Applaus).<br />
Und jetzt komme ich zurück auf das, was Sie vorhin<br />
gesagt haben. (Zu Frau Beck gewandt) Wenn Sie<br />
etwas Geschichte studiert haben, dann sehen Sie,<br />
wie unmerklich Errungenschaften der Menschheit<br />
und der Kultur, wenn sie nicht bewusst und präsent<br />
in den Köpfen sind, wieder vergessen werden. Und<br />
eines Tages werden wir konfrontiert mit Zuständen,<br />
von denen wir überhaupt nicht <strong>für</strong> möglich gehalten<br />
haben, dass sie jemals wieder eintreten können. Und<br />
aus diesem Grunde rufe ich Ihnen allen zu: "Sie<br />
kämpfen hier eigentlich, auch unsere ausländischen<br />
Freunde, nicht <strong>für</strong> sich, Sie kämpfen <strong>für</strong> die Würde<br />
hier in unserem Land. Sie kämpfen <strong>für</strong> das höchste<br />
Recht in unserem Staat Bundesrepublik Deutschland."<br />
(Applaus)<br />
Dass dieser Staat die Fährnisse der Zukunft besteht,<br />
dass er die entsprechenden Parameter des Rechtstaates<br />
immer wieder in die Mitte rückt. Und es<br />
muss immer wieder nachjustiert werden, weil der<br />
Mensch so wie die Geschichte und die Völker sich<br />
jeden Tag verändern und neue Herausforderungen<br />
und auch neue Antworten brauchen. Dies gilt auch<br />
<strong>für</strong> die gesetzlichen Rahmenbedingungen, in denen<br />
wir hier alle leben und leben wollen, die natürlich<br />
entsprechend neu justiert werden müssen.<br />
Der große Völkerrechtslehrer, der eigentlich <strong>zum</strong><br />
ersten Mal über den Frieden der Völker ein großes<br />
Werk geschrieben hat, Hugo Grotius, im 16. Jahrhundert,<br />
er hat gesagt, “man muss mit allen seinen<br />
Kräften an dem Tag, in dem Jahrhundert, in dem man<br />
lebt, mit allen seinen Kräften gegen das Herabfließen<br />
der Dinge ins Schlechtere stemmen, wenn man den<br />
Zustand, den man einmal erreicht hat, erhalten will”.<br />
Das vergessen wir. Es ist wirklich so, dass, wenn wir<br />
nicht aufpassen, auch das wieder verloren geht, was<br />
frühere Generationen mühsam erreicht haben. Gerade,<br />
wenn wir jetzt diese Feiern von der Normandie<br />
sehen, (Anmerkung: Dr. Schwarz-Schilling spielt<br />
auf 60 Jahre D-Day an) wo Menschen mit ihrem<br />
Leben bezahlt haben und zwar Tausende, Zigtausende,<br />
um unseren Kontinent zu befreien. Die Befreiung<br />
von der Diktatur zur Demokratie und <strong>zum</strong><br />
Rechtsstaat hin, wenn das nicht fest in unseren<br />
Köpfen ist, dass das <strong>für</strong> jede Generation eine neue<br />
Aufgabe ist, dann könnten wir unsere Errungenschaften<br />
wieder verlieren. Und hier steht das Ausländerrecht,<br />
wie wir es ja bezeichnen, als ein ganz<br />
wichtiger Bestandteil rechtsstaatlicher Neuentwicklung<br />
vor uns, die absolut erforderlich ist. Und deswegen<br />
wäre es eine Schande, wenn wir in dieser<br />
Zeit, in der wir heute leben, angesichts der Fälle, die<br />
jedem, der nur seine Augen aufmacht, vor Augen<br />
stehen, sagen, er wüsste es nicht, was hier los ist.<br />
Wir wissen es alle und wir wissen es genau, wenn<br />
wir uns darum bemühen. Wir nehmen es nur nicht<br />
ernst genug. Und aus diesem Grunde rufen Sie es so<br />
laut wie Sie können weiter heraus, und seien Sie<br />
sicher, es gibt in allen Parteien Menschen, die hören,<br />
die sehen, die dem zustimmen und die den Kampf<br />
dann vielleicht ermutigter als bisher, wieder aufnehmen.<br />
Ich danke Ihnen (Applaus).<br />
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift <strong>für</strong> Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 102, Oktober 2004<br />
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