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Anhörung zum Bleiberecht für langjährig geduldete ... - Pro Asyl

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Pfarrer Joachim Piontek - Katholische Kirchengemeinde St. Adalbert<br />

vornehmen. Das bedeutet, dieses elfjährige<br />

Mädchen muss beim Arzt alles das erklären, was die<br />

Mutter hat und was der Vater hat. Sie muss vorzeitig<br />

in die Erwachsenenwelt eintreten, um genau das<br />

erklären zu können, was die Behörden und die Ärzte<br />

wissen wollen, denn die Eltern sprechen schlecht<br />

Deutsch. Es ist doch klar, dass die Leute schlecht<br />

Deutsch sprechen, wenn sie über Jahre hinweg nur<br />

eine Duldung haben. Wie soll ich da Deutsch lernen,<br />

wenn die Frage, wie kann ich überleben und<br />

<strong>für</strong> meine fünfköpfige Familie sorgen, ständig die<br />

äußerste Priorität einnimmt. Der Sohn, auch das ist<br />

aus der Situation heraus zu verstehen, entwickelt<br />

sich plötzlich <strong>zum</strong> <strong>Pro</strong>blemkind. Diese Entwicklung<br />

ist beeinflusst von Gewalterfahrungen, wie jener, als<br />

ihm im <strong>Asyl</strong>heim ein Messer auf die Brust gehalten<br />

wurde. Dass seine Psyche auch durch die unhygienischen<br />

Verhältnisse belastet wird, kommt hinzu,<br />

die Begebenheiten mit den Kakerlaken habe ich bereits<br />

erwähnt Darüber hinaus spielen noch andere<br />

soziale Faktoren eine Rolle: Der Vater ist arbeitslos.<br />

Es gibt Konflikte zwischen Sohn und Vater. Arbeit?<br />

Beide, Vater und Mutter, hätten seit langem eine<br />

gute Arbeit haben können. Diese Geschichte ist -<br />

Entschuldigung - eine Lachnummer. Menschen haben<br />

sich bemüht, der Frau Begolli letztlich eine<br />

Traumstelle zu verschaffen - und das Arbeitsamt hat<br />

abgelehnt. Auch das kennen wir in anderen Fällen.<br />

Die Kinder. Die Kinder sind in der Schule laut ihrer<br />

Zeugnisse "befriedigend" bis "sehr gut". Eine Tochter<br />

geht jetzt auf das Gymnasium, die andere<br />

schließt nun eventuell die Mittlere Reife ab und<br />

steht vor der Aufnahme einer Lehrstelle. Sie hat eine<br />

Lehrstelle angeboten bekommen und wenn die<br />

Familie nicht abgeschoben wird, dann kann das<br />

Mädchen diese Stelle vielleicht annehmen, darum<br />

kümmert sich inzwischen der Anwalt.<br />

Zu mir: Ich habe durch die Begegnung mit Flüchtlingen<br />

sehr viel gelernt. Es klingt ein bisschen skurril,<br />

aber ich bin da<strong>für</strong> dankbar. Auf der anderen Seite,<br />

wenn ich jetzt mal meinen Bauch sprechen lasse,<br />

dann muss ich sagen: Ich werde über die Jahre in<br />

dieser Sache innerlich immer aggressiver. Und noch<br />

etwas: Es macht mich innerlich immer aggressiver,<br />

wenn ich sehe, wie die Menschen um mich herum<br />

aus Hilflosigkeit, das betrifft auch Gemeindemitglieder<br />

in der katholischen Kirchengemeinde und<br />

Menschen in unserem Stadtteil, das <strong>Pro</strong>blem einfach<br />

ignorieren. Oder wie mir jemand sagte: "Pastor,<br />

Du bist viel zu gut <strong>für</strong> die Welt." Das ist schon<br />

schlimm! So - und jetzt <strong>zum</strong> Schluss habe ich zwei<br />

Forderungen: Die eine Forderung richtet sich an<br />

unseren Oberbürgermeister: Und zwar möchte ich,<br />

das allen "Begollis", das sind, wie er hier vorgetragen<br />

hat, in Hannover 1.575 Menschen, die Duldung<br />

genommen und in ein <strong>Bleiberecht</strong> umgewandelt<br />

wird. Die andere Forderung ist eine Minimalforderung:<br />

Ich wünsche mir, dass ab morgen alle in Hannover<br />

und in Niedersachsen begreifen, was wir <strong>für</strong><br />

ein <strong>Pro</strong>blem haben. Danke.<br />

(Applaus)<br />

Der Vater ist aufgrund der Situation, die ihn zur<br />

Untätigkeit verdammt, mittlerweile stark depressiv.<br />

Er ist von Beruf so eine Art Ingenieur und hält sich<br />

inzwischen nur noch in der Garage auf. Dort hat er<br />

sein Fahrrad und sein Moped, an dem er immer etwas<br />

herumbastelt und ändert. Die Mutter ist ganz<br />

stark psychosomatisch gefährdet, sie ist aufgrund<br />

dessen ständig kränkelnd.<br />

FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift <strong>für</strong> Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 102, Oktober 2004<br />

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