Zwischen Zwei Welten: Vietnamesische VertragsarbeiterInnen in ...

gesehen oder gehört. Wir waren ja versorgt und untergebracht. Und damit hätte man am
liebsten die ganze Geschichte totgeschwiegen“, erinnerte sich Astrid Behlich, eine Betreuerin
aus dem Sonnenblumenhaus. 278 Der Aufforderung des Rostocker Bürgermeisters eine Woche
nach den Anschlägen, dass die Vietnamesen in ihre Wohnungen in der Mecklenburger Allee
zurückkehren sollten, da nur ein kleiner Teil der bewohnbaren Fläche dem Feuer zum Opfer
gefallen sei, kamen die Vietnamesen mit der Unterstützung des Ausländerbeauftragten
Wolfgang Richters nicht nach und verharrten für mehrere Wochen im Landschulheim Niex. 279
Auch Herr Nguyen Do Thinh berichtet:
”Zwei Wochen haben wir, rund 100 Männer und Frauen und Kinder,
zusammengehockt in einem Landschulheim in Niex bei Rostock. Weitere neun Frauen
mit ihren Kleinkindern waren in einem Frauenhaus der Kirche in Graal-Müritz
untergebracht. Das Wetter und die Umgebung waren schön. Eigentlich könnte man
denken, daß das eine Ferienfahrt vietnamesischer Familien sein könnte. Aber der
Grund warum sich so viele VietnamesInnen das erste Mal nach der Vereinigung
Deutschlands wieder in engen Räumen zusammenfanden, war nicht wegen eines
gemeinsamen Familienvergnügens. Sie mußten sich solange dort versteckt halten, bis
die Stadt Rostock wieder Herr ihrer Lage war ...” 280
Am 26.08.1992 gelang es der Polizei gegen 2 Uhr mit Hilfe von Wasserwerfern und
Tränengas die bis zu diesem Punkt immer noch andauernden Ausschreitungen zu beenden. 281
Damit endete die rassistische Anschlagsserie deutscher Bürger auf Asylbewerber und
ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter in Rostock-Lichtenhagen, bei der tagelang
zeitweise bis zu 1.200 Angreifer von bis zu 3.000 sympathisierenden Schaulustigen beklatscht
und zu ihren Taten motivieret wurden. 282
Unmittelbar nach den rassistischen Ausschreitungen in Rostock wurden die Geschehnisse
„sowohl von den Abgeordneten der Oppositionsparteien SPD und PDS als auch der schwarzgelben
Regierungskoalition unter Ministerpräsident Bernd Seite (CDU) scharf verurteilt.“ 283
Über die genaue Bewertung der Ereignisse und über die Klärung politischer
Verantwortlichkeiten herrschte, laut Roman Guski, zu Beginn Uneinigkeit. Guski betont, dass
278
Schmidt, S. 168.
279 Vgl.: Ebenda, S. 169.
280
Zit. nach: Interview Nguyen Do Thinh, in: Krebs, Astrid: Diplomarbeit: Daheimgeblieben in der
Fremde - Vietnamesische VertragsarbeiterInnen zwischen sozialistischer Anwerbung und
marktwirtschaftlicher Abschiebung, Rostock 1999, S. 37.
281 Vgl.: Bürgerinitiative Bunt statt Braun e.V. (Hrsg.): Trauma einer Stadt - Eine Ausstellung über Menschen,
Ansichten und Gesetze. Rostock-Lichtenhagen - ein Jahrzehnt danach, Rostock 2004, S. 10.
282 Vgl.: Guski, Roman: Nach Rostock-Lichtenhagen - Aufarbeitung und Perspektiven des Gedenkens, in:
Thomas Prenzel (Hrsg.): 20 Jahre Rostock-Lichtenhagen. Kontext, Dimensionen und Folgen der
rassistischen Gewalt, Rostock 2012, S. 31.
283
Ebenda, S. 32.
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