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Heft - ith

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19 – Ebd., S. 21f.<br />

20 – Siehe Antonio Negri, Political Descartes,<br />

Reason, Ideology and the Bourgeois Project,<br />

London 2007 (zuerst auf Italienisch 1970)<br />

21 – «Le bon sens est la chose du monde la mieux<br />

partagée: car chacun pense en être si bien<br />

pourvu, que ceux même qui sont les plus difficiles<br />

à contenter en toute autre chose, n’ont<br />

point coutume d’en désirer plus qu'ils en ont.<br />

En quoy il n’est pas vraysemblable que tous<br />

se trompent; mais plutost cela tesmoigne que<br />

la puissance de bien iuger, & distinguer le<br />

vray d’avec le faux, qui est proprement ce<br />

qu’on nomme le bon sens ou la raison, est<br />

naturellement Egale en tous les hommes.»<br />

René Descartes, «Discours de la Méthode»,<br />

in : Œuvres de Descartes, Bd. 6, hrsg. v.<br />

Charles Adam, Paul Tannery [AT VI] Paris<br />

1996, S. 1 f.<br />

22 – Descartes AT X, S. 428; Meditationen über<br />

die Grundlagen der Philosophie, lat.-dt. René<br />

Descartes, hrsg. v. Lüder Gäbe, Hamburg<br />

1992, S. 102f.<br />

23 – Descartes AT X, 425f.<br />

24 – Descartes AT VI, S. 4.<br />

25 – «Que si, mon ouvrage m’ayant assez plu, ie<br />

vous en fais voir icy le modelle, ce n’est pas,<br />

pour cela, que ie veuille conseille a persone de<br />

l’imiter.» Ebd., S. 15.<br />

26 – «Il est bon de sçavoir quelque chose des<br />

meurs de divers peuples, affin de iuger des<br />

nostres plus sainement, & que nous ne pensions<br />

pas que tout ce qui est contre nos<br />

modes soit ridicule, & contre raison, ainsi<br />

qu’ont coustume de faire ceux qui n’ont<br />

rien vû. Mais lorsqu’on employe trop de tems<br />

a voyasger, on devient enfin estranger en son<br />

pais ; & lorsqu’on est trop curieux des choses<br />

qui se pratiquoient aux siecles passez, on<br />

demeure ordinairement fort ignorant de celles<br />

qui se pratiquent en cetuycy.» Ebd., S. 6.<br />

27 – «J’estimois fort l’Eloquentce, & j’estois<br />

amoureux de la Poesie ; mais ie pensois que<br />

l’une & l’autre estoient des dons de l’esprit,<br />

plutost que des fruits de l’estude. Ceux qui<br />

ont le raisonnement le plus fort, & qui<br />

di gerent le mieux leurs prensées, affin de les<br />

rendre claires & intelligibles, peuvent toujiours<br />

le mieux persuader ce qu’ils proposent,<br />

encore qu’ils ne parlassent que bas Breton,<br />

& qu’ils n’eussent iamais apris de Rhetorique.»<br />

Ebd., S. 7.<br />

Empfinden, ein Empfinden der individuellen Zugehörigkeit<br />

zur Gattung, das den Gegensatz zwischen den kultivierten<br />

Klassen und der einfachen Natur der unkultivierten<br />

Klassen hinter sich lässt. Die sensorielle Differenz, die<br />

angeblich die feinen Unterschiede und die sozialen Dimensionen<br />

des Geschmacks prägt, lässt das ästhetische Regime<br />

ebenso hinter sich wie die Unterscheidung von Lärm und<br />

Sprache. Darin liegt, für Rancière, die «politische Bedeutung<br />

des ‹Widerstands›» der Kunst:<br />

«Das freie ästhetische Spiel und die Universalität des<br />

Geschmacksurteils bestimmen eine neue Freiheit und eine neue<br />

Gleichheit, die verschieden sind von denen, die die revolutionäre<br />

Regierung unter der Form des Gesetzes einrichten wollte:<br />

eine Freiheit und eine Gleichheit, die nicht mehr abstrakt, sondern<br />

sinnlich sind. Die ästhetische Erfahrung ist die eines neuen<br />

Sensoriums.» 19<br />

Rancière lobt die Abschaffung der Hierarchie im Bereich<br />

der Ästhetik, erkauft sich mit der Festlegung der Kunst auf<br />

die ästhetische Erfahrung aber die hierarchisierende<br />

Unterstellung, dass das allgemeine Publikum de facto nur<br />

Gefühle artikuliert, aber nicht im vollem Sinne vernünftig<br />

denkt und handelt.<br />

28 – Der Sens Commun wird hier allerdings im<br />

Sinne des Bon Sens angesprochen: das Wichtige<br />

verliert aus dem Auge, wer sich und seine<br />

Gedanken nicht der Wirklichkeit, sondern<br />

einer Kunstwelt ausliefert: «Car il me sembloit<br />

que ie pourrois rencontrer beaucoup plus<br />

de verité, dans les raisonnemns que chascun<br />

fait touchant les affaires qui luy importent,<br />

& dont l’evenement le doit punir bientost<br />

après, s’il a mal iugé, que dans ceux que fait<br />

un homme de lettres dans son cabinet,<br />

touchant des speculations qui ne produisent<br />

aucun effect, & qui ne luy font d’autre consequence,<br />

sinon peutestre il en tirera d’autant<br />

plus de vanité qu’elles seront plus esloignées<br />

du sens commun, a cause qu’il aura deu<br />

employer d’autant plus d’esprit & d’artifice a<br />

tascher de les rendre vraysemblables. Et<br />

i’avois tousiours un extreme desir d’apprendre<br />

a distinguer le vray d’avec le faux, pour<br />

voir clair en mes actions, & marcher avec<br />

assurance en cete vie.» Ebd., S. 10.<br />

29 – Ebd., 12 f.<br />

30 – Alle Wissensformen beruhen auf der gleichen<br />

menschlichen Weisheit. Die Wissenschaften<br />

seien alle miteinander verbunden und voneinander<br />

abhängig. Es gelte, das «natürliche<br />

Licht der Vernunft zu vermehren, nicht, um<br />

diese oder jene Schulfrage zu lösen, sondern<br />

damit in den einzelnen Vor fällen des Lebens<br />

der Verstand dem Willen vorschreibe, was zu<br />

wählen sei.» («sed cogitet tantum de naturali<br />

rationis lumine augendo, non ut hanc aut<br />

illam scholae difficultatem resolvat, sed ut in<br />

singulis vitae casibus intellectus voluntati<br />

IV.<br />

Descartes’ Bon Sens:<br />

revolutionär, modern,<br />

universalistisch<br />

Die Artikulation möglicher Gleichheit im Geschmacksurteil<br />

wäre durchaus ein lobenswertes Programm, wenn ihm nicht<br />

eine Hegemonie eingeschrieben wäre, die sich auch in den<br />

Schriften Lyotards und Rancières bemerkbar macht: Das<br />

ästhetische Gefühl bleibt lediglich eine Vorstufe der Subjektivität,<br />

die Kommunikationsabteilung der Vernunftbürokratie,<br />

prinzipiell abgetrennt von den höheren Erkenntnisvermögen<br />

wie auch vom leiblichen Begehren. Kants universalistisches<br />

Lob des Geschmacksurteils, sein zurechtgestutzter<br />

Gemeinsinn und sein elitaristischer Vernunftbegriff stehen<br />

am Ende einer Entwicklung, die sich durch das 18. Jahrhundert<br />

zieht und im krassen Gegensatz zum rationalistischen<br />

Universalismus René Descartes’ steht.<br />

Descartes’ Vernunftbegriff bildet die Grundlage des aufklärerischen,<br />

ja revolutionären Programms, das bereits in<br />

der Frühen Neuzeit gegen die sozialen, historischen und<br />

lokalen Differenzen der Kulturen und Religionen angetreten<br />

ist. Den Angelpunkt bildet dabei Descarte’ Begriff des<br />

Bon Sens. Für Descartes ist Denken nichts anderes als die<br />

Aktivierung dieses Bon Sens.<br />

Dass der Begriff des Bon Sens und damit Descartes Auffassung<br />

von dem, was Vernunft ausmacht, enorme soziale<br />

und politische Konsequenzen hat, ist bisher, soweit ich sehe,<br />

nicht beachtet worden: Auch in Antonio Negris Buch über<br />

den Politischen Descartes findet man zur politischen Dimension<br />

der Vernunftkonzeption erstaunlicherweise nichts. 20<br />

Descartes’ Bon Sens ermöglicht die Aufklärung im Namen<br />

der universellen Vernunft. Wir alle urteilen vernünftig, weil<br />

wir Schlüsse ziehen und Entscheidungen treffen.<br />

Dieser revolutionären Auffassung gemäss muss ich keiner<br />

Autorität und keinem Naturgesetz folgen, damit mir<br />

jemand Vernunft zubilligt oder um als vernünftig zu gelten:<br />

Indem ich urteile, wende ich alltäglich immer schon Vernunft<br />

an; auch dann, wenn ich irre. Diese universalistischen<br />

Implikationen werden deutlich, wenn man die entscheidende<br />

Eingangspassage im Discours de la Méthode liest, in der<br />

er die Vernunft mit dem Gemeinsinn (Bon Sens) identifiziert<br />

und wenn man auch die Ironie nicht überhört:<br />

Seinen Discours de la Méthode eröffnet Descartes mit<br />

der Feststellung, die Kraft, gut zu urteilen und das Wahre<br />

vom Falschen zu unterscheiden, die eigentlich das sei, was<br />

man Bon Sens oder Vernunft nenne, sei bei allen Menschen<br />

von Natur aus gleich. 21<br />

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