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Heft - ith

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Erich<br />

Hörl<br />

Jörg<br />

Huber<br />

13<br />

Technoökologie<br />

und<br />

Ästhetik<br />

(Institutionen, Menschen, Dinge, Apparate, Instrumente<br />

etc.) mit-agieren und (etwas) hervorbringen, Effekte zeitigen,<br />

die von gesellschaftlicher Bedeutung sind. Wobei nun<br />

hinsichtlich der technologischen Verschiebung genauer<br />

gesagt werden muss: dass in den und durch die Dispositive<br />

diese Akteure sich erst konstituieren. Dispositive sind<br />

Kräftefelder, in denen Prozesse der Subjektivierung geschehen,<br />

die nicht nur Menschen, sondern auch Dinge, Objekte,<br />

Apparate etc. betreffen (Diagramme, Fluchtlinien). Die<br />

Ästhetik beschreibt dieses Agencement, dieses Zusammenspiel<br />

als Kreation, die sich nicht auf Subjekte zurückführen<br />

und auf Objekte ausrichten lässt.<br />

Dispositive ergeben sich auf Grund einer Notlage,<br />

einer Krise, eines Drängens auf Veränderung, das Neues<br />

hervorruft. Das Vorgängige, das diese Konstellation<br />

erwirkt, können wir als Disposition bezeichnen (in Anlehnung<br />

an eine Anregung von Jens Kastner). Deinem Vorschlag<br />

folgend, müssen wir sie gegenwärtig hinsichtlich<br />

der technologischen Sinnverschiebung beschreiben. Und<br />

mit dem Dispositiv meinen wir stets einen singulären Fall<br />

eines bestimmten Aktions- und Handlungsgefüges, das<br />

sich in der Disposition herausstellt, an dem wir konkret<br />

beobachten und untersuchen können, was Kreation heisst<br />

und wie Hervorbringung geschieht. Hier stellt sich eine<br />

entscheidende Herausforderung an die Ästhetik, wenn die<br />

Aktivität weder als Arbeit im herkömmlichen Sinn noch<br />

als autopoietisch kreatürliches Geschehen verstanden<br />

soll. Die Ästhetik muss Hervorbringen denken, das Konstruktion<br />

ist und doch nicht; ein Herstellen, das nicht<br />

Produktion im Sinn von Arbeit ist; ein Ereignen, das sich<br />

ereignet im Feld vorläufiger Zuschreibungen; ein Handeln,<br />

das zwischen Akteuren geschieht, die zum Teil im<br />

konventionellen Sinn nicht als handlungsfähig erachtet<br />

werden. Die Ästhetik ist die Theorie, mit der wir dieses<br />

Werken und Wirken analysieren und beschreiben. Gleichzeitig<br />

ist sie als Metatheorie Kritik.<br />

Wie können wir Ästhetik als Kritik verstehen? Du weist<br />

beispielhaft auf die Kreativitätsindustrie hin, die als eine<br />

Maschine des Neoliberalismus den Imperativ be creative!<br />

für alles setzt. Kreativität wird hier zum Massstab für das<br />

Funktionieren und Gelingen des kognitiven Kapitalismus’<br />

und zur Pathosfigur einer Spektakelkultur, die dieses Funktionieren<br />

durch Inszenierungen verschleiert. Hier tritt das<br />

Ästhetische performativ grell in den Vordergrund mit Gesten,<br />

Attitüden, Maskeraden, Scharaden; als Performanz der<br />

Macht auch, die Subjektivierung verspricht und Entsubjektivierung<br />

praktiziert. Diese Art der Ästhetisierung, wie sie<br />

Benjamin mit der «Ästhetisierung der Politik» beschreibt,<br />

ist die Gegenfigur zu dem Verständnis der Ästhetisierung,<br />

das betont, dass Ästhetisches in der Realisierung von Existenz<br />

wirksam ist. Es tritt dabei jedoch nicht in den Vordergrund,<br />

sondern zieht sich zurück in die Dinge, Maschinen,<br />

Prozesse und Gefüge. Damit wird die Differenz markiert<br />

zwischen einer Ästhetik, die ihre Aufmerksamkeit auf die<br />

Dynamik des Hervorbringens und das Relationale der<br />

Gefüge richtet und derjenigen, die das Artikulierte und<br />

Festgestellte pragmatischer Praxis zum Thema hat. Aus<br />

dieser Differenz schlägt die Kritik ihre Funken, indem sie<br />

sich nicht damit begnügt festzustellen, dass letztlich alles<br />

ästhetisch ist. Folglich thematisiert die Ästhetik das Ästhe-<br />

10 – Christoph Menke, Kraft. Ein<br />

Grundbegriff ästhetischer<br />

Anthropologie, Frankfurt a. M.<br />

2008.<br />

tische als das elementare Sinnliche, als relationale Intensitäten<br />

(Perzepte, wie Deleuze sagt), deren Sinn nicht im<br />

Bedeuten mittels Referenzen und Repräsentationen<br />

besteht. Kritik heisst denn auch nicht das Benennen anderer<br />

Bedeutungen und Repräsentationsweisen. Sie wird erst<br />

möglich, indem das konventionelle Verständnis von Sinn<br />

und der entsprechenden Repräsentationsregime transzendiert<br />

wird. Ästhetik entwickelt als Metatheorie die notwendigen<br />

Modelle (als «Modellkritik»: vgl. den Beitrag von<br />

Hans Ulrich Reck in diesem <strong>Heft</strong>) und Begri±ichkeiten.<br />

Hier haben die Künste ihre spezifische Funktion: in<br />

der Exposition dieser Hervorbringungen in Weisen und<br />

an Orten, die sich explizit von der alltäglichen Pragmatik<br />

unterscheiden. Was Menke mit dem Begriff der Kraft für<br />

die Ästhetik stark macht 10 , kann man auf die künstlerische<br />

Praxis fokussieren: Kunst ist die Kraft des Spiels, des<br />

Aleatorischen, der Kontingenz, des Rätselhaften und des<br />

Entzugs. In der Kunst zeigt sich die Selbstreflexivität des<br />

Ästhetischen, nicht indem sie das Unsichtbare sichtbar<br />

(etc.) macht, sondern das Sichtbare sichtbar (das Hörbare<br />

hörbar etc.). Die künstlerische Praxis vollzieht und<br />

spiegelt das Mit-Sein von Menschen, Apparaten, Dingen<br />

und die verschiedenen Formen der Aktion und Passion,<br />

jedoch nicht in den Registern der Darstellung und Repräsentation,<br />

sondern der sinnlichen affektiven Gestaltung.<br />

Eine Gestaltung der Kräfte und Energien, deren Effekte<br />

sich zeigen und im gleichen Zug wieder verschwinden. Die<br />

künstlerische Kreativität experimentiert mit Materialien<br />

und Techniken und gleichzeitig mit ihren Bedingungen<br />

und stellt damit auch die Koordinaten und Begri±ichkeiten<br />

der Kunst-Praxis in Frage. Ich denke hier nicht nur an die<br />

Kunst, die explizit z. B. den Menschen mit Maschinen verschaltet<br />

oder an die sogenannte Medien-Kunst, die mit<br />

Computern und in Netzwerken agiert, sondern an jegliche<br />

künstlerische Praxis, von der Malerei über Installationen<br />

und Performances zum Theater, Video und zur Neuen<br />

Musik.<br />

(Als Anmerkung ein Beispiel: Wir werden in diesem<br />

Jahr und vor diesem Hintergrund Fragen zum Körper, Verkörperung,<br />

Körperlichkeit bearbeiten. Dabei können wir<br />

nicht vom Körper als Körper ausgehen (um zu analysieren<br />

und zu diskutieren, wie er in verschiedenen Kontexten der<br />

Künste exponiert wird); die Frage wird sein, wie man den<br />

Körper heute überhaupt denken kann hinsichtlich einer<br />

Ontologie der relationalen Koexistenz. Die Frage also nach<br />

einer Körperlichkeit (corpus), die sich nicht nur auf den<br />

Menschen oder Dinge oder Tiere bezieht; die Frage nach<br />

dem relationalen und zerstreuten Körper, dem Körper vor<br />

aller Signifizierung (etc.) und damit auch nach dem anderen<br />

Sinn des Körpers.)

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