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Sabeth<br />
Buchmann<br />
Ruth<br />
Sonderegger<br />
Marion<br />
von Osten<br />
53<br />
(Warum)<br />
Hat die Rede<br />
vom<br />
Ästhetischen<br />
heute<br />
Konjunktur?<br />
curatorial, educational turns» und<br />
deren Integration unter Berufung auf<br />
den Begriff «Contemporary Art» haben<br />
möglicherweise tatsächlich die Grenzen<br />
zwischen Hoch- und Populärkulturen<br />
und den wissensproduzierenden Disziplinen<br />
verschoben. Die marktökonomischen,<br />
institutionellen Rahmen- und<br />
Repräsentationsbedingungen haben<br />
sich demgegenüber aber nicht massgeblich<br />
verändert bzw., wenn sie sich verändert<br />
haben, dann haben sie sich eher<br />
verschärft.<br />
Wenn die Konjunktur des Ästhetik-<br />
Begriffs also nur so etwas ist wie ein diskursiver<br />
Exodus aus dem bestehenden<br />
institutionalisierten Kunstfeld, dann<br />
scheint er jedenfalls janusköpfig engstens<br />
mit dieser Debatte um die Gegenwartskunst<br />
verbunden zu sein. Aber<br />
weder die Entgrenzungskritik noch der<br />
Ästhetikbegriff benennen jenen forcierten<br />
Prozess der Institutionalisierung der<br />
Gegenwartskunst, wie er mit dem Ausbau<br />
der Museen und Kunsthallen, des<br />
Galeriesystems und des Kunstmarktes,<br />
wie auch mit der Biennalisierung in den<br />
letzten dreissig Jahren einherging; ein<br />
Prozess, in dem völlig veränderte Produktionsbedingungen<br />
für Künstler_<br />
innen und vor allem auch Kurator_<br />
innen entstanden sind. Dabei könnte<br />
gerade diese forcierte Form der Institutionalisierung<br />
meines Erachtens den<br />
Ästhetikbegriff, wie er bei Jacques Rancière<br />
Verwendung findet, relevant<br />
machen, nämlich für die Kritik dieses<br />
Prozesses. Unter anderem führte der<br />
Institutionalisierungsschub auch zu<br />
einer zunehmenden re-nationalisierenden<br />
oder aber regionalisierenden<br />
Beschreibung und Wahrnehmung von<br />
Kunstproduktion weltweit. Demgegenüber<br />
fehlen in grossen Teilen der Kunstzentren<br />
der Welt genau jene stabilen<br />
Strukturen und Institutionen, die zeitgenössische<br />
Kunstproduktion langfristig<br />
stützen und ermöglichen könnten,<br />
wie es etwa in den euro-amerikanischen<br />
Kunstzentren seit dem Ende des zweiten<br />
Weltkriegs der Fall ist. Biennalen als<br />
temporäre Plattformen haben zu Teilen<br />
gerade diese langfristigeren Institutionalisierungsdynamiken<br />
vielmehr teilweise<br />
ersetzt. Das Begehren, den Kunstbegriff<br />
durch den Ästhetikbegriff zu<br />
ersetzen, ist bislang noch mit der Amnesie<br />
ausgestattet, diese Prozesse nicht<br />
deuten zu können oder zu wollen.<br />
Sabeth Buchmann<br />
Ich komme noch einmal auf die<br />
Frage der «heraufbeschworenen Krise»<br />
zurück: Einerseits bin ich der Auffassung,<br />
dass die Krisenrhetorik gene-<br />
rell strukturell (wert-)konservativ verfasst<br />
ist und sich im Fall des Bashens<br />
von Institutionskritik mit neokonservativen<br />
Positionen, wie sie für den<br />
Kunstbetrieb kennzeichnend sind,<br />
bestens verträgt. Ich will dennoch<br />
nicht die Probleme einer längst orthodoxen<br />
Rhetorik und a∞rmativen, marketinggerechten<br />
Praxis der Institutionskritik<br />
bestreiten. Gleichzeitig bin<br />
auch nicht die Erste und Einzige, die<br />
dennoch ihre Potenziale verteidigt und<br />
diese in der Thematisierung ihrer eigenen<br />
und für Institutionen offenbar<br />
konstitutiven Widersprüche erkennt.<br />
Die spielen schliesslich von Anfang an<br />
eine entscheidende Rolle: Denn Institutionskritik<br />
zielt allenfalls in ihren<br />
naivsten und banalsten Ausformungen<br />
auf die Abschaffung von Museen, Kuratoren,<br />
Kunstkritik etc. — das erledigt<br />
der Neoliberalismus besser. Zu meist<br />
ging es ihr ja eher um Offenlegung hierarchischer<br />
Machtstrukturen, soziosymbolischer<br />
Ausschlüsse und ökonomisch-ideologischer<br />
Interessen und<br />
Verstrickungen sowie, positiv gesprochen,<br />
um partizipationsorientierte<br />
Demokratisierung bzw. integrative<br />
Kollektivierung: Schlicht um das, was<br />
der Modernisierung der Institution<br />
Kunst zugutekommen sollte. Doch die<br />
Forderung nach dem Einschluss, der<br />
Beteiligung und einer angemessenen<br />
Repräsentation strukturell ausgeschlossener<br />
sozialer Gruppen und<br />
Öffentlichkeiten wurde inzwischen<br />
von zielgruppenspezifischen und corporate-identity-orientiertenMarketingstrategien<br />
absorbiert. Aber das<br />
kann gleichwohl nicht heissen, das<br />
politische Projekt, das mit der Forderung<br />
nach Dehierarchisierung und<br />
Partizipation etc. verbunden ist, aufzugeben<br />
und sich in defätistischen Klagen<br />
über die bösen Vereinnahmer zu<br />
ergehen. Es wäre eher, auch im Sinne<br />
von Marions Ausführungen, nach der<br />
Ausrichtung bzw. dem Status einer<br />
Kritik zu fragen, die letztlich einem<br />
westlichen Institutionsbegriff verhaftet<br />
bleibt. Wenn die öffentliche Hand<br />
inzwischen dazu tendiert, nur mehr<br />
zeitlich befristete Projekte zu fördern,<br />
nicht aber in Strukturen zu investieren,<br />
dann bedeutet das vielleicht auch,<br />
dass die Institutionskritik ihren konstitutiven<br />
Widerspruch noch stärker<br />
einbringen und positionieren muss:<br />
Nämlich sich die Gleichzeitigkeit von<br />
Kritik und Verteidigung einer nach<br />
wie vor dem idealistischen Gedanken<br />
einer «bürgerlichen» Öffentlichkeit<br />
verbundenen kulturellen Szene einzugestehen,<br />
auf die es offenbar schon gar<br />
nicht mehr ankommt. Es mutet natürlich<br />
absurd an, auf eine zu Recht obsolete<br />
gesellschaftliche Formation zu<br />
rekurrieren, die zugleich Zielscheibe<br />
von Institutionskritik war, ist und sein<br />
sollte. Heute wird sie zumeist von<br />
einem mehr oder weniger akademischen<br />
Milieu repräsentiert, welchem<br />
die Akteur_innen jener ökonomisch<br />
prekarisierten Projektekultur entstammen,<br />
mit der sich die Politik von<br />
langfristiger Kunst- und Kulturförderung<br />
entlasten will. Diese Projektekultur<br />
verständigt sich auf Kunst-, Kultur-<br />
und Gesellschaftskritik, wobei<br />
doch längst deutlich werden konnte,<br />
dass der permanent erbrachte und<br />
immer wieder erneuerte Nachweis von<br />
Kritik-Fähigkeit zugleich als Ausweis<br />
von flexibler Intelligenz, strategischem<br />
Denken und unausgesetzter Lernfähigkeit<br />
gilt. Die konkreten Inhalte von<br />
Kritik werden somit neutralisiert und<br />
beliebig; sie spielen dann erst eine Rolle,<br />
wenn sie zu konkreten politischen<br />
Konflikten führen oder in diesen wirksam<br />
werden. Diese Konflikte ernsthaft<br />
herausfordern und eingehen tun<br />
jedoch die wenigsten Projekte, die<br />
unter dem Stichwort der Institutionskritik<br />
firmieren. Das heisst aber nicht,<br />
dass das nicht möglich wäre und nicht<br />
zum Teil auch praktiziert wird.<br />
Marion von Osten<br />
In der Arbeit an einem neuen Ausstellungsprojekt<br />
mit dem Titel «Action!<br />
painting / publishing» beschäftige ich<br />
mich mit der kulturellen und politischen<br />
Notwendigkeit, Organe und<br />
Institutionen zu schaffen. Bereits im<br />
Mo der nismus wurden vor dem Hintergrund<br />
der strukturellen Ungleichheit,<br />
die ich schon betont habe, zwischen den<br />
westlichen Kunstzentren (Paris, New<br />
York, London, Berlin) des 20. Jahrhunderts<br />
und nicht-westlichen Zentren derselben<br />
Zeit (Algier, Beirut, Cairo, Casablanca,<br />
Dakar, Dehli, Douala, Habana,<br />
Lagos, Mexico City, São Paolo, um nur<br />
einige wenige zu nennen) mit der Herausgabe<br />
von Publikationen und Magazinen<br />
ein Wissenstransfer und translokale<br />
Kollaborationen zwischen Künstler_innen<br />
und Autor_innen trotz oder<br />
gerade wegen institutioneller Limite<br />
forciert. Diese Schriften genauer in den<br />
Fokus zu nehmen und von ihnen aus<br />
eine Kartierung der Beziehungen und<br />
Bedeutungen für die Herausbildung der<br />
Gegenwartskunst zu entwickeln, scheint<br />
längst überfällig zu sein. Von hier aus<br />
gesehen könnte der Begriff der Ästhetik<br />
eine noch ganz andere Relevanz bekommen.<br />
Denn wie ich in der Recherche