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Heft - ith

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sprüche (vgl. Bredekamp 1993). Von hier<br />

ergibt sich erst die historisch folgenreiche<br />

und heute akzeptierte Entfaltung des<br />

Adjektivs: ästhetisch ist, was eine philosophisch<br />

selbstbezügliche, explizit ausweis-<br />

und beschreibbare Wahrnehmung der<br />

Wahrnehmung am schönen Gegenstand<br />

für sich selber deutlich werden lässt.<br />

Ästhetik im Unterschied zur Aisthetik ist<br />

also philosophisch kategoriales Nachdenken<br />

über den Status der schönen Dinge<br />

und die Modalitäten ihrer ästhetischen<br />

Wirkung auf ein Subjekt, d. h. eine praktische<br />

Disziplin von imaginierter Selbstthematisierung<br />

eben zum Zweck der identitätssichernden<br />

Formung solchen Subjekts.<br />

Es gibt aber noch wesentliche andere Konzeptionen,<br />

die das Problem gerade im<br />

20. Jahrhundert grundsätzlicher anzugehen<br />

versuchen: Ästhetik als Theorie der<br />

Differenz (vgl. Brock 1977 und 1986), die<br />

alle Setzungen menschlicher mentaler<br />

Artefakte, also Mentefakte, Theoreme,<br />

Modelle in Wissenschaften und lebensweltlichem<br />

Denken, prozessualen Figurationen<br />

aller Art, erfasst und in Bezug setzt<br />

auf notwendigerweise im Hintergrund<br />

steuerungsmächtige Annahmen, die in der<br />

Regel selber nicht explizit thematisiert<br />

werden, sondern prozessual wirksam sind<br />

im Sinne eines Unbewussten der Symbolik<br />

und der Kultur (vgl. Sperber 1975,<br />

Leroi-Gourhan 1980). Das scheint mir<br />

grundsätzlich der interessanteste Gebrauch<br />

zu sein (vgl. Reck 1991). Dagegen verstrickt<br />

sich regelmässig jede Erneuerung einer<br />

philosophischen Behauptung des Ästhetischen<br />

in die Kritik oder Legitimation der<br />

Figur der Künste, d. h. einer hochstufigen,<br />

kulturstrategisch normativierenden Aussonderung<br />

elitaristisch konzipierter Werte,<br />

deren ästhetische und moralische<br />

Valenz sich nur in strikter Abgrenzung von<br />

einem Alltäglichen und Gewöhnlichen<br />

definieren lassen.<br />

Und wie steht es mit aussereuropäischen<br />

Auffassungen — tragen sie etwas zur<br />

Anreicherung der Phänomene oder gar<br />

Lösung des Problems bei?<br />

Phänomenreichtum ist jedenfalls ein gutes<br />

Stichwort. Die Frage ist nur, ob die Phänomene<br />

im Hinblick auf dieselben Kriterien<br />

und Kategorien aussagekräftig sind, dies<br />

auch sein sollen oder eben nicht. Hier bin<br />

ich skeptisch und bleibe das zunehmend.<br />

Das Problem beginnt bei der Übersetzung<br />

oder Wiedergabe der Begriffe, ihrer Denotate<br />

und ihrer Referenten. Natürlich gibt es<br />

jederzeit zahlreiche Bezugspunkte zum<br />

eurozentrischen Ästhetikdiskurs in anderen<br />

zivilisatorischen und kulturellen Konzepten<br />

(vgl. Reck 2007). Unvermeidlicherweise<br />

handelt es sich hierbei zunächst<br />

durchgängig um Analogiebildungen, denen<br />

immer etwas Willkürliches anhaftet. Versuchen<br />

wir es demnach mit einigen solcher<br />

Analogien.<br />

Der hinduistischen Skeptik gegen das<br />

Sensorische als einer puren Illusion entspricht<br />

ein Konzept der Verkörperung, das<br />

allerdings keine Sphäre von Schönheit<br />

oder Kunst abgegrenzt oder ausgesondert<br />

hat. Die Demonstration der göttlichen<br />

Attribute und der Auffassungen vom Verhältnis<br />

des Numinosen zum humanoiden<br />

Eros, wie sie in skulptierten Tempelfriesen<br />

zum Ausdruck kommen, verweisen direkt<br />

auf die religiösen Aspekte und haben mit<br />

der autonomen Sphäre eines Ästhetischen<br />

nichts gemein. Rasa als hinduistischer<br />

Ausdruck für kontemplative Abstraktion<br />

kann man zwar komparatistisch als ein<br />

ästhetisches Äquivalent der sich selbst vergewissernden<br />

Rückbezüglichkeit des empfindenden<br />

Subjekts auf die lebendigen<br />

Akte seines Empfindens verstehen, aber<br />

dieser Rückbezug ist hier nicht kategorialreflexiv,<br />

sondern vollzieht sich in Verkörperungsformen<br />

des Emotionalen, also<br />

direkt, inkorporativ und nicht repräsentierend.<br />

Die dramaturgische Erörterung der<br />

verschiedene Rasas, als da sind Bezugnahmen<br />

auf Gefühle des Tragischen, Schrecklichen,<br />

Hässlichen, Schönen, Erfreuenden,<br />

Vergnüglichen, Erotischen und so weiter,<br />

bilden Attribute eines Erlebens aus, das<br />

nicht in poetisch formulierte Formen einer<br />

spezifischen Ausgestaltung mündet, wie<br />

dies in der Tradition eines Aristoteles’<br />

zwingend geworden ist. Noch im aktuellen<br />

Bollywood-Film sind deshalb eine wilde<br />

Summierung und willkürlich anmutende<br />

Hybridisierung der aristotelisch getrennten<br />

Gattungen und Affektreinigungstechniken<br />

kennzeichnend. Und letztlich führt<br />

jede ästhetische Erfahrung eines Rasas<br />

auf die Verkörperung früherer Existenz,<br />

also das Dogma der Seelenwanderung und<br />

des Kharma zurück. Konfuzianische<br />

Betrachtungen zu einer Ästhetik des<br />

Genusses sind dort eingebunden in politische<br />

und moralische Regeln, auch solche<br />

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