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Jürgen<br />
Ploog<br />
149<br />
Ein<br />
frag mentierter<br />
Blick<br />
auf das<br />
simu lative<br />
Wort<br />
Der Unterschied zwischen der repräsentativen<br />
& der simulativen Dimension ist die<br />
Bruchstelle der Vorstellung, die die Wahrnehmung<br />
in die Irre führt. Sprache, die<br />
vorgibt, die Schimäre des Realen aufzuspüren,<br />
versperrt den Ausweg aus diesem<br />
Dilemma. Indem sie als Vermittler einer<br />
objektiven, scheinbar tatsächlichen Welt<br />
auftritt, verrät sie den Code & die Möglichkeiten<br />
einer deterritorialisierten Zeichenwelt,<br />
in der der Raum zwischen Bezeichnung<br />
& Bezeichnetem schwindet.<br />
Das simulative Wort funktioniert mittels<br />
semantischer Abweichung. Es zerstört<br />
die falsche Erwartung von Sinn & rückt<br />
gleichzeitig den Unfug in greifbare Reichweite,<br />
denn auch er, so wie der Zufall, steht<br />
unter dem Einfluss eines Willens & unterliegt<br />
der Logik der Simulation. Für Simulation<br />
liesse sich auch sagen, dass sie den<br />
Gesetzen des Herrschaftssystems, der<br />
Kontrollmaschine folgt, also Fabrikationsmittel<br />
ist, das heute vor allem im Zusammenspiel<br />
von Medien & Wahrnehmung<br />
wirkt. «Alles, was du weisst, hat dir das<br />
Fernsehen vermittelt» ist der Todesstoss<br />
für jeden Zugang zur unmittelbar wahrgenommenen<br />
Wirklichkeit. Fakten & Ordnung<br />
sind Produkte der Medien, die als<br />
Perzeptionsmaschine fungieren.<br />
Der simulativen Logik liegt zugrunde,<br />
dass nichts wahr ist. Jede Aussage, jede<br />
Feststellung steht unter dem Vorbehalt<br />
von Vorläufigkeit & beruht auf einem raumzeitlichen<br />
Ausgangspunkt. Wird dieselbe<br />
Aussage zeitlich oder räumlich verschoben,<br />
verändert sich ihr Wahrheitsgehalt.<br />
«Nichts ist wahr» sagt, dass es nicht eine<br />
Wahrheit gibt, sondern derer viele, die<br />
Sichtweise & Perspektive unterliegen. Die<br />
Feststellung «Die Sonne geht im Westen<br />
auf» ist nur wahr, wenn sie von einem<br />
Standort auf der Erde aus getan wird.<br />
Mediensprache, die scheinbar Nachrichten<br />
transportiert, legt den Standpunkt<br />
fest, den der Leser gegenüber dem Geschehen<br />
einzunehmen hat. Sie simuliert Tat-<br />
sächlichkeit, indem sie den Leser zwingt,<br />
den von ihr gewählten Blickwinkel<br />
einzunehmen.<br />
Inzwischen mehren sich Untersuchungen,<br />
die offenlegen, wie mit Hilfe von Wort<br />
& Bild «reale» Vorgänge entsprechend<br />
einem politischen Willen wiedergegeben<br />
& technisch reproduziert werden. Die<br />
Angst der Herrschenden vor der Macht<br />
des Publikums ist ein Faktum, das mit der<br />
Omnipräsenz der Medien noch zugenommen<br />
hat. Das Wirken sogenannter «Spin-<br />
Doktoren» im Dienst der Politik ist ein<br />
Beispiel dafür. Für Benjamin war das Publikum<br />
ein «Examinator», «doch ein zerstreuter»,<br />
was die Frage aufwirft, wie<br />
unbestechlich es als «Examinator» ist &<br />
wie weit es in die Zerstreuung abdriftet.<br />
Unterhaltung dient der Zerstreuung, oder<br />
nicht? Das Prüfende ist nicht ohne Verstörendes<br />
zu haben, & es kann als Menetekel<br />
gelten, wenn Politikerreden zunehmend<br />
als verstörend wirken & von der Literatur<br />
Gefälliges & Verständliches erwartet wird.<br />
Von Simulation sprechen heisst, von<br />
Möglichkeiten sprechen, was wiederum<br />
bedeutet, dass sie einen Raum neuer Utopien<br />
eröffnet, den ich einmal den Raum<br />
hinter den Worten genannt habe & in dem<br />
Wörter als Schmuggler von Ideen auftreten,<br />
wie es Baudrillard formulierte. «Für<br />
jemanden, der nicht beansprucht, dass<br />
sein Denken als endgültig und in sich<br />
geschlossen zu gelten hat, ist klar, dass<br />
Wörter ein Eigenleben besitzen — folglich<br />
sterblich sind.» 4 Für Baudrillard dienen<br />
sie als «Umschalter» oder «Verschieber».<br />
Was verschieben sie? Die Vorstellung<br />
davon, was sie bezeichnen. Diese Fähigkeit<br />
entfalten sie nur, wenn sie simulativ<br />
gehandhabt werden, als Hinweise & Bausteine<br />
von Entwürfen. Das Wort als aristotelische<br />
Ist-Bezeichnung, das voraussetzt,<br />
dass es ein objektives Gegenüber gibt, das<br />
es zu erfassen gilt, wird den Umbruch in<br />
eine sich virtualisierende Welt nicht überstehen.<br />
Hinweise darauf, dass es über kurz<br />
4 – Jean Baudrillard,<br />
Passwörter, Berlin<br />
2002, S. 9.