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Heft - ith

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scher Radikalinski abgestempelte Jean-<br />

Luc Godard in der zweiten Hälfte der<br />

1970er Jahre eine praktische mediale<br />

Arbeit realisiert hat, die auch in der publizierten<br />

fotografischen Ikonographie ganz<br />

andere als die ewig gleichen weissen<br />

Gesichter im Umgang mit Bildmaschinen<br />

zeigt, die Frage der diskursiven Herrschaft<br />

und damit auch die des poetologisch souveränen<br />

Subjekts anders stellt, soll hier<br />

wenigstens erwähnt werden. Jean-Luc<br />

Godard hat 1979 mit Sonimage und anderen<br />

Produzenten für die Regierung in<br />

Mosambik eine Medienarbeit geleistet<br />

unter dem Titel La naissance (de l’image)<br />

d’une na tion. Die Anspielung an Gri∞th ist<br />

bezeichnend, aber auch tauglich zur Markierung<br />

der Differenz, ging es doch nicht<br />

um einen durch einen Autor zu realisierenden<br />

Film von mythischer Kraft, sondern<br />

um die Anverwandlung der bildproduzierenden<br />

Apparatur durch ein stellvertretendes,<br />

technisch konstruierendes Kollektiv<br />

an der Stelle der bisher ideologisch mythisierten<br />

vor-technischen Nationalstaatlichkeit.<br />

Angestrebt war nicht die Herstellung<br />

von Kunst, sondern ihre Nutzung als Verfahren,<br />

als Methode und Praktik, um ein<br />

Lernen als Frage nach Autonomie einzurichten,<br />

Medien als Mittel, Autonomie<br />

auch als Form der Interaktivität, der<br />

durchbrochenen, unterbrochenen, suspendierten<br />

und zunehmend liquidierten<br />

Zustimmung zu Unterdrückungsformen<br />

evidenter und subtiler, grober wie unsichtbarer<br />

Art lesbar zu machen. Diese Medienarbeit<br />

existiert — zumindest für die Kreise<br />

der Cineasten — bis jetzt nur in einer wunderbaren<br />

Dokumentation in Standbildern<br />

und Dokumentarfotos im <strong>Heft</strong> 300 der<br />

Cahiers du Cinéma. Stellt man daraus signifikante<br />

Bildfolgen zusammen (vgl. Reck<br />

1987), so wird die emanzipative Handhabung<br />

der Medien lesbar, zum Beispiel an<br />

der kommunikativ-befreienden Wirkung<br />

des Lachens, als zerstreute Konzentration,<br />

Aneignung des Apparates in lebendiger<br />

Beziehung zwischen Medien und Machern.<br />

In La naissance (de l’image) d’une nation<br />

vollzieht sich die Arbeit des Kollektivs<br />

unterhalb jeglichen Zwangs zur Vergegenständlichung<br />

der lebendigen Praxis in<br />

einem erstarrten Produkt. Innerhalb eines<br />

durch die neue Praktik geschaffenen auratischen,<br />

konkreten Raumes markiert und<br />

ist die Präsenz der Apparaturen immer<br />

auch Ausdruck konzentrierender Beiläu-<br />

figkeit der sie benutzenden Menschen.<br />

Entsprechend gibt es hier nicht nur viele<br />

lachende, sondern vor allem lachende<br />

schwarze Gesichter, weisse Augen auf einer<br />

schwarzen Hintergrundfläche, also das<br />

Inverse zur katholischen Apodiktik bei<br />

Deleuze / Guattari.<br />

Depravierende und allseitig instrumentelle<br />

Inanspruchnahmen des Ästhetischen<br />

sind heute prägend. Man muss sich vergegenwärtigen,<br />

dass Ästhetik seit geraumer<br />

Zeit als eine Art Menschenrecht zur willkürlichen,<br />

grenzenlosen und beliebigen<br />

Umgestaltung seiner Selbst, als und zum<br />

Bild über Krankenkassen als sozialstaatlich<br />

gratifizierte Leistung eines hedonistisch<br />

entgrenzten Individualismus abgerechnet<br />

werden kann. Ästhetik verkommt<br />

also zur Schönheitschirurgie. Anders<br />

gesagt: Die Entwicklung geht von der<br />

Sinnklammer der Kunst zum musealen<br />

Freizeitpark. Ästhetik nach dem Verbrauch<br />

der Durchlauferhitzer von Kunstutopien<br />

zerfällt zum Ereignis, das dann, eben<br />

wegen der Entwertung, immer wieder zum<br />

numinosen und quasisakralen Datum<br />

überhöht wird.<br />

Die Rückgewinnung einer kognitiv neutralisierten<br />

und ausgegrenzten Empirie wird<br />

als Kunst dem epistemischen System reimplantiert.<br />

Kunstphilosophie ist also das<br />

Opfer, das der empirielose Gedanke der<br />

kognitionsimmunen Sensualität darbringt<br />

— es handelt sich bei solchen Dingen um<br />

ein durch und durch abgekartetes Spiel.<br />

Und in der Tat markiert die Verfügbarkeit<br />

der ästhetischen Selbstbehauptung von<br />

allem und jedem den entscheidenden<br />

Horizont zeitgenössischer Verschiebung in<br />

der Landschaft dieses Begriffs. Das spiegelt<br />

sich auch in wenigen der jüngeren theoretischen<br />

Versuche, nicht mehr an Adornos<br />

Vorgaben zu einer philosophischen Theorie<br />

der Künste und ihren Herausforderungen<br />

an einen am Rätsel interessierten<br />

Menschen anzuknüpfen, sondern eine<br />

nachrevolutionäre Verklärung der verschwundenen<br />

politischen Resistenz mit<br />

Mitteln des Empfindens zu betreiben. Die<br />

ästhetische Selbstmodellierung der plastischen<br />

Chirurgie macht ja auf ihre Weise<br />

ebenfalls die modernistische Utopie gegenstandslos,<br />

nämlich im Konkreten greifbar<br />

als strategisch erreichbares Ziel. Der Weg,<br />

die Tendenz von der kritischen Kunst zum<br />

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