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Heft - ith

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eine Kritik der criticality provoziert,<br />

vorwerfen müsste, aus dem «Hamsterrad»<br />

von Kritik nicht herauszukommen.<br />

2 Nicht das Vereinnahmt-Werden<br />

von Kritik scheint in Deinen Augen<br />

das Problem zu sein, sondern wenn<br />

man die Vereinnahmung nicht merkt,<br />

ignoriert oder nicht auf die neuen Vereinnahmungs-Verhältnisse<br />

reagiert.<br />

Das eigentliche Problem wäre dann<br />

die Hypothese, man sei jenseits der<br />

Vereinnahmbarkeit. Das hingegen,<br />

was auf den ersten Blick wie das Laufrad<br />

der Korrumpierbarkeit ausschaut,<br />

könnte aus deiner Perspektive gerade<br />

eine mikropolitische Beweglichkeit<br />

sein. Wer Positionen der ersten Generation<br />

der Institutionskritik nur dahingehend<br />

zur Kenntnis nimmt, dass sie<br />

auch zu einer pseudokritischen Veränderung<br />

der Institutionen geführt hat,<br />

versteht demnach die Geschichte vom<br />

falschen Ende her. So gesehen müsste<br />

man die Massstäbe von Kritik und criticality<br />

ganz anders formulieren denn<br />

als Forderung, sich jeder Vereinnahmung<br />

zu widersetzen.<br />

2 – In einer kritischen Diskussion<br />

von Helmut Draxlers<br />

Kritik der criticality hat<br />

Jens Kastner einmal<br />

gemeint, Draxlers Kritik<br />

komme aus der «Beschreibung<br />

eins Laufrads oder<br />

Teufelskreises» nicht heraus.<br />

Jens Kastner, «Zur<br />

Kritik der Kritik der Kunstkritik.<br />

Feld- und hegemonietheoretischeEinwände»,<br />

in: Birgit Mennel, Stefan<br />

Nowotny und Gerald<br />

Raunig (Hg.), Kunst der<br />

Kritik, Wien 2010, S. 125–<br />

148, hier S. 142.<br />

Wenn ich dich, Sabeth, mit dieser<br />

Umwertung der Kritik an der Institutionskritik<br />

richtig verstanden habe,<br />

bleibt aber doch immer noch die Herausforderung<br />

und krasse Realität jener<br />

Phänomene, welche die Verterter_<br />

innen radikaler Theorie und die mit<br />

ihnen kollaborierenden Kunstinstitutionen<br />

nur zum Schein bearbeiten. Du<br />

nennst Migration, Ökologie und Neoliberalismus<br />

und sagst meines Erachtens<br />

zurecht, dass man sie jenseits von langfristigen<br />

Strukturveränderungen nicht<br />

angehen kann. Was könnte hier der<br />

Einsatz von institutionskritischer<br />

Kunst sein? Inwiefern geht es hier um<br />

Institutionskritik jenseits von Kunst?<br />

Oder anders gefragt: Gibt es eine Radikalität<br />

jenseits des Kahlschlags und der<br />

tabula rasa? Eine Radikalität der<br />

Beharrlichkeit, der Unbeirrbarkeit, des<br />

geduldigen und freundlichen Arbeitens<br />

mit Widersprüchen? Wäre hier möglicherweise<br />

eine Radikalität auch dahin-<br />

gehend gefragt, dass sich künstlerische<br />

mit anderen Praktiken kreuzen? Vielleicht<br />

könnten wir das im Ausgang von<br />

Marions neulich bei der Postkolonialismus-Tagung<br />

gehaltenen Vortrags noch<br />

weiter entwickeln. 3<br />

3 – Gemeint ist Marion von<br />

Ostens Vortrag «L’Art<br />

Autre» beim Symposium<br />

Universalisms in Conflict<br />

/ Post-colonial Challenges<br />

in Art History and Philosophy<br />

(9.–10. März 2012;<br />

Akademie der bildenden<br />

Künste Wien).<br />

Marion von Osten<br />

Ich stimme euch zu, dass es eine<br />

Konjunktur des Ästhetik-Begriffs gibt,<br />

der mit einem Versuch verbunden ist,<br />

die bestehenden Zwangsjacken der<br />

Gegenwartskunst zu verlassen, ohne sie<br />

gänzlich abzuschütteln. Aber das haben<br />

Zwangsjacken natürlich auch so an sich,<br />

man kann sie ja gerade nicht in einem<br />

individuellen Willensakt ablegen.<br />

Gleichzeitig wird aber auch parallel zu<br />

dieser Konjunktur des Ästhetikdiskurses<br />

im Feld der bildenden Kunst der<br />

Gegenwartskunstbegriff von westlichen<br />

Kunsttheoretiker_innen und Kurator_<br />

innen kritisch auf seine Substanz<br />

befragt, wie etwa in spezifisch herausgegebenen<br />

Ausgaben der Zeitschriften<br />

October, dem e-flux journal oder in<br />

Schriften von Terry Sm<strong>ith</strong> oder Donald<br />

Kuspit. Dabei wird einerseits davon ausgegangen,<br />

dass «Contemporary Art»<br />

(Zeitgenössische oder Gegenwartskunst)<br />

kaum mehr zu definieren, da<br />

konturlos sei, denn unter diesem Begriff<br />

würden unterschiedlichste global produzierte<br />

Praktiken quasi differenzlos<br />

vereinheitlicht werden. In den genannten<br />

Zeitschriften und Publikationen<br />

wird der Begriff «Contemporary<br />

Art / Gegenwartskunst» andererseits<br />

trotz seiner globalen Relevanz vor allem<br />

mit dem westlichen Kunstmarkt und<br />

den damit verbundenen Institutionen<br />

und Arbeitsteilungen in Verbindung<br />

gesetzt. Die Homogenisierungsthese<br />

(alles, und zwar aus allen Teilen der<br />

Welt, kann heute Gegenwartskunst werden<br />

und ist dann, ja was eigentlich,<br />

Ästhetik?) basiert so auf einer kulturpessimistischen<br />

Perspektive, die trotz ihres<br />

skandalisierenden Tons die westlichkapitalistischen<br />

Wertesysteme als Zentrum<br />

des Diskurses um Gegenwartskunst<br />

letztendlich nicht in Frage stellt.<br />

Ein wesentlicher Punkt der Debatte<br />

ist die These, dass zeitgenössische Kunst<br />

(wie die Formen ihrer Entgrenzung) aus<br />

einer westlichen Kunsttradition (etwa<br />

der Post-Avantgarden und des Konzeptualismus)<br />

hervorgehe, die heute zum<br />

zentralen Paradigma des globalen<br />

Kunstbetriebs geworden seien. Mit dieser<br />

Behauptung wird zeitgenössische<br />

Kunst aus Afrika, Asien und Südamerika<br />

nur in Relation zum westlichen<br />

Kunstbegriff und dessen Distributionszentren<br />

gelesen oder gar als eine Art verspätete<br />

bis hin zu einer auf gezwungenen<br />

Zeitgenossenschaft beschrieben, die ihre<br />

Wurzeln in unterschiedlichen Macht-<br />

und Herrschaftsverhältnissen habe.<br />

Damit wird einerseits nicht-europäischen<br />

Künstler_innen abgesprochen,<br />

die Moderne und Postmoderne massgeblich<br />

mitgestaltet zu haben, und man<br />

negiert, dass gerade die Kunst des 20.<br />

und 21. Jahrhunderts in einem Wechselverhältnis<br />

mit anderen lokalen nichteuropäischen<br />

Modernen entstanden<br />

ist, wenn auch unter radikal un gleichen<br />

Austauschverhältnissen. Im Sinne der<br />

landläufigen Globalisierungstheorien,<br />

aber auch in der Neuschreibung der<br />

Geschichte von Kolonialismus und<br />

Impe rialismus usw., wird die Vorherrschaft<br />

des Westens auf allen Ebenen der<br />

Praxis quasi weiterhin als gegeben<br />

angenommen. Aus dieser ungebrochenen<br />

Dominanzvorstellung muss sich<br />

dann zwangsläufig ableiten, dass zeitgenössische<br />

Kunst, die nicht in Europa<br />

oder USA produziert wird, eine Art vormals<br />

fremdbestimmte und später angeeignete<br />

Praxis sei und damit eher den<br />

Grad der ökonomischen Globalisierung<br />

/ Verwestlichung widerspiegele,<br />

dem ein nicht-westliches Land sich aufgeschlossen<br />

bzw. unterworfen habe.<br />

Dieser aktuelle Diskurs über zeitgenössische<br />

Kunst ermöglicht auch jene<br />

«Entdeckungen» einer globalen Kurator_innenelite,<br />

die ihren Wissensvorsprung<br />

und ihr kulturelles Kapital<br />

sichert, indem sie zunehmend interessante<br />

zeitgenössische Kunst im nichteuropäischen<br />

Kontext sucht und findet.<br />

Diese Praxis der «Entdeckung» von<br />

zunehmend männlichen Einzelkünstlern<br />

aus dem globalen Süden reproduziert<br />

dabei auch eine ahistorische und<br />

dekontextualisierende Perspektive und<br />

konstruiert Ausnahmefiguren, ohne die<br />

lokalen Auseinandersetzungen um diese<br />

Praktiken und deren Genealogien in<br />

den diversen nicht-europäischen<br />

Kunstszenen und -zentren in den Blick<br />

zu nehmen.<br />

Diese absichtlich von mir vorgenommene<br />

Zuspitzung kennt natürlich<br />

auch Abweichungen, dennoch lässt sich<br />

aus den meisten aktuellen kunsttheoretischen<br />

Schriften meines Erachtens eine<br />

Tendenz wie die eben skizzierte ablesen.<br />

Die Entgrenzung künstlerischer Praktiken<br />

und die damit verbundenen «social,<br />

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