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Es drückt sich hier erneut und wiederholt<br />
das Problem der Ästhetik als Reparatur<br />
eines defizienten philosophischen Systems<br />
im Europa von der klassischen Aufklärung<br />
bis heute aus und kehrt auch im Zeitalter<br />
globalisierter Erlebnisversprechen und<br />
Ereignis-Inszenierungen wieder. Es droht<br />
hier die Vorherrschaft einer Legitimationsstruktur,<br />
der alle Ästhetiken und Kulturen<br />
im Sinne selbstbezogener formaler<br />
Devalorisierung von ästhetischen Referenzen<br />
unterworfen werden. Es geht hierbei<br />
im Wortsinne um nichts mehr ausserhalb<br />
dessen, was im Ereignis als Ressource<br />
selbstgenügsam verzehrt, benutzt und<br />
ausgereizt wird. Dass dies die Kolonialisierung<br />
externer Werke mitsamt Negierung<br />
ihrer lebendigen, meist eben nicht ästhetisch,<br />
sondern rituell gefügten Kontexte<br />
wiederholt, die schon für die Künste der<br />
klassischen Moderne typisch ist, macht die<br />
Sache natürlich nicht besser, sondern<br />
recht eigentlich ausweglos. Mit einer Vervollständigung<br />
von ästhetischen Konzepten<br />
durch postulierten Einbezug besonders<br />
asiatischer, aber auch ozeanischer,<br />
afrikanischer, südamerikanischer, präkolumbianischer<br />
und anderer Bewertungskonzepte<br />
von Künsten, also explizierten<br />
oder impliziten Ästhetiken (vgl. Genette<br />
1994 und 1997), ist hier aber nichts gewonnen.<br />
Dieser Einbezug blieb schon im<br />
18. Jahrhundert mit seinen vitalen Interessen<br />
an aussereuropäischer Symbolik und<br />
besonders asiatischer Poesie episodisch.<br />
Es gibt also, auch wenn so etwas meistens<br />
gut klingt, gar keine universalistische<br />
Perspektive. Die suggerierte Weltphilosophie<br />
der Aufklärung markiert eine kulturtypische<br />
Rationalität und ist zugleich ein<br />
Surrogat für gescheiterte kulturelle Komparatistik,<br />
damals wie heute. Die Auffassung,<br />
es könne gelingen und sei deshalb<br />
geboten, den eurozentrischen Universalismus<br />
durch Beiziehen inhaltlicher Differenzen<br />
aus ganz anderen Positionen zu<br />
ergänzen, zu modifizieren oder gar zu<br />
kurieren, beruht auf einem Denkfehler. Es<br />
geht gar nicht um Inhalte, sondern um<br />
den Status eines Modells in einem umfassenden<br />
und zugleich determinativen (also<br />
keine Alternativen ohne weiteres zulassenden)<br />
epistemologischen System. Wenn<br />
dieses System Ästhetik als Form kompensatorischer<br />
Aufwertung ansonsten abgewerteter<br />
(oder zumindest misstrauisch<br />
betrachteter) sinnlicher Denkformen<br />
erzwingt, dann eröffnet sich damit keinerlei<br />
einfache Modifikation durch Betrachtung<br />
blosser Inhalte, sondern setzt eine<br />
dogmatische Form unverändert als massgebenden<br />
Inhalt durch. Divergente andere<br />
Formen würden hierin und demnach<br />
annektiert, ohne dass das Begründungsproblem<br />
verändert würde. Man würde<br />
also, wenn man nur ästhetische Gehalte<br />
multiplizierte, ohne den Status der Bezüge<br />
zwischen Sinnlichkeit und Denken,<br />
Kunst und Wissenschaft beispielsweise zu<br />
ändern, die instrumentelle Gängelung der<br />
Kunst als sinnliches Scheinen der Idee und<br />
Ausdruck von Kognition in Gestalt von<br />
Sto±ichem schlicht exportieren und in<br />
den alternativen Modellen von Ästhetik<br />
gleichbleibend mit unveränderten Zwängen<br />
einer identischen Systemarchitektur<br />
implantieren. Man würde also die Krankheit<br />
ausbreiten, statt sie zu bekämpfen.<br />
Es gibt also auch keine kohärente Theorie<br />
der Atmosphären oder der in einem angeborenen<br />
Gemeinsinn angelegten ästhetischen<br />
Werte?<br />
Wenn man die regelmässig ausbrechenden<br />
Debatten und kulturellen Konflikte<br />
um die selektiven Wertigkeiten von schönen<br />
und nicht schönen, hohen und nichthohen<br />
Künsten betrachtet, muss man<br />
sagen: offenbar nicht. Das hat aber für<br />
unseren Zusammenhang eine besondere<br />
und intrikate Pointe: Wenn es nämlich<br />
kein wirklich in diversen Kulturen identisch<br />
formulierbares oder fassbares universalistisches<br />
Problem gibt (weder in der<br />
Empirie noch im Systembau noch in der<br />
Handhabung von dichten Kategorien),<br />
dann gibt es auch keine eurozentrische<br />
Problematik, die über die sich selber disqualifizierende<br />
Behauptung einer ebensolchen<br />
hinausginge. Die Debatte liegt also<br />
schief und führt in die Irre. Das Problem<br />
ist zugleich banal wie gravierend. Die konstitutive<br />
Herausforderung blieb unbeantwortet<br />
und scheiterte. Dieses Scheitern,<br />
und nicht einfach ein Mangel, ist, was<br />
dann zur Ästhetik werden konnte in einem<br />
spezifischen Zusammenhang, der auch<br />
erklärt, weshalb der Ästhetikdiskurs kaum<br />
je mit den wirklich internen poetischen<br />
Prinzipien der Kunstproduktion verbunden<br />
war, sondern in diese normativ intervenierte.<br />
Trotz der späteren gelungenen<br />
Bemühungen eines Aufschlusses der<br />
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