sehen konnte, sind diese Schriften — beispielsweise die Zeitschrift Sou±es aus Marokko, die von 1965–72 erschienen ist — nicht nur Veröffentlichungsmedien, sondern transnationale Verhandlungsorte einer spezifisch politischen, philosophischen und gleichsam künstlerischen Problematik gewesen. Aus den verschiedenen Beiträgen und unterschiedlichsten Autor_innenperspektiven lässt sich jedenfalls eine stetige Suche nach Artikulationsformen ablesen, die die Herausforderungen der Dekolonisierung im Blick hatten. Hier ging es tatsächlich um ein neues ästhetisches, gesellschaftliches Projekt, das die geopolitischen Umwälzungen auch in einer neuen Kunstsprache zum Ausdruck bringen wollte. Die genannten transnationalen Austauschbeziehungen sind nicht immer und ausschliesslich in einer Referenz zu / über Europa oder die USA entstanden, sondern im Sinne des Konzeptes der Off-Centers (Okwui Enwezor) sind hier genau jene Beziehungen zu betonen, die zwischen Orten und Akteuren in Asien, Afrika, Indien und Südamerika stattfanden und in denen der «Westen» eine Referenz unter anderen war und ist. Diese Beziehungen sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Non- Aligned und die Trikontinentale Bewegung in der Ära der Dekolonisierung auch strukturell gefördert worden. Durch die neuen Kommunikationstechnologien und eine zunehmende weltweite Mobilität sind in letzten dreissig Jahren darüber hinaus weitere, intensive Beziehungen zwischen Orten, Personen, selbst-organisierten Räumen, Praktiken und Institutionen entstanden, die längst nicht mehr dem Konzept des Nationalen oder Regionalen gehorchen. Auch in Europa haben sich beispielsweise Produktions- wie Widerstandsnetzwerke entwickelt, die zu Teilen mit anderen Zentren und Akteuren in der Welt verbunden sind und gemeinsam vorgehen. Ein Projekt in diesem Sinn, an dem ich selbst massgeblich beteiligt war, war etwa MoneyNations von 1997–2001 — ein Projekt, bei dem die Austauschbeziehungen u. a. auch von der Tatsache markiert waren, dass die Reisefreiheit auch für viele Kulturproduzent_innen zunehmend eingeschränkt wurde und bis heute wird. Gleichzeitig war das Projekt neben den künstlerischen Auseinandersetzungen auch von den in dieser Zeit stattfindenden Debatten und Aktionen der Anti-Globalisierungsbewegung geprägt. Die Diversi- tät und Spezifik solcher von Künstler_ innen initiierten Projekte zu erfassen, bedeutet, auch jenen darin zentralen Referenzen und Auseinandersetzungen zu folgen, die nicht ausschliesslich auf das Kunstfeld selbst beschränkt sind. In gewisser Weise könnte man sagen, dass dieses Projekt Teil einer ästhetisch-politischen Bewegung war, die ihren offensichtlichsten Ausdruck möglicherweise tatsächlich in der Anti-Globalisierunsgbewegung fand. Darüber hinaus haben sich vor dem Hintergrund von sich zunehmend professionalisierenden Routinen und Arbeitsteilungen im Kunstbetrieb kuratorisch-künstlerische Praktiken als Gegenmodelle etablieren können, in denen neue Formen von kultureller Praxis und Theorieproduktion erprobt und praktiziert wurden. Möglicherweise könnte man hier eine neue Ästhetik der Produktion nachweisen, die wie die oben erwähnten Bespiele aus einer Notwendigkeit entstanden sind, in den verschärften institutionellen Bedingungen weiterhin handlungsfähig zu bleiben. Diese Praktiken sind — aus unterschiedlichsten Gründen — weltweit zu finden, wie dies etwa Patrick D. Flores in «Turns in Tropics: Artist Curator» im Jahresbericht der Gwangju Biennale, 2008 beschreibt. Diese multiplen Rollenmodelle lassen sich so auch weder einfach auf der Ebene des Import-Export- Modells beschreiben noch allein auf der Ebene der lokalen oder nationalen Spezifik. Sie lassen sich — wenn überhaupt — durch die transkulturellen Transfers von Wissen und Praktiken wie auch den translokalen Begeg nungen und kollaborativen Netzwerken von Künstler_innen und Autor_innen beschreiben, die oftmals mit ihren Produktionen und der Einnahme unterschiedlicher Rollen Kritik üben an den bestehenden herrschenden oder fehlenden Strukturen und dem damit einhergehenden einschränkenden Kulturbegriff. Die zunehmende Selbstorganisation von Auftritts-, Distributions- und Handlungsorten, die mit diesen multiplen Kunstpraktiken und Subjek - tivitäten einhergeht, hat zudem ein para-institutionelles kulturelles Feld eröffnet, das mich zunehmend zu interessieren beginnt. In ihm werden nicht nur nationale Grenzen, sondern auch institutionalisierte Grenzen zwischen den Kunstgenres Literatur, Musik, bildende Kunst und den performativen Künsten überschritten. Ruth Sonderegger Ich finde es vollkommen überzeugend, dass Sabeth das Gelingen von Institutionskritik an konkrete Inhalte und an langfristige politische Auseinandersetzungen bindet, d. h. an Auseinandersetzungen, die sich ihrerseits gerade der Konkretheit und Bestimmtheit der Anliegen und Angriffspunkte von Institutionskritik verdanken. Marions Überlegungen machen darüber hinaus deutlich, dass es heute genug Anlässe und Gründe für solche Auseinandersetzungen gibt. Denn einerseits vollziehen sich in den westlichen Kunstzentren, in denen es lange Zeit relativ stabile (bürgerliche) Kunstinstitutionen gab, «forcierte Institutionalisierungen»; Institutionalisierungen, welche temporäre Events, Plattformen etc. (mit einem für interessierte Künstler_innen teilweise geradezu wahnsinnigen Bewerbungs- und Berichtaufwand!) an die Stelle langfristigen und — zumindest in manchen Fällen — sozial halbwegs abgesicherten künstlerischen Arbeitens setzen. Gleichzeitig und zusammenhängend mit der gerade skizzierten Entwicklung scheint es in nicht-westlichen Kunstzentren von vornherein unmöglich gemacht zu werden, überhaupt erst einmal jene Institutionen aufzubauen, die in der westlichen Welt derzeit abgebaut werden. Bei allen Unterschieden zwischen diesen Entwicklungen kann es (institutionskritischen) Praktiken nur darum gehen, Handlungsfähigkeit zu behalten oder wieder zu erlangen. Die Beispiele, die Marion dafür gibt, machen deutlich, dass dabei neue Zusammensetzungen von künstlerischen, politischen, aber auch wissenschaftlichen Wissens- und Praxisformen sowohl zwischen als auch innerhalb einzelner Akteur_innen notwendig werden. Und das wiederum impliziert, dass es auch um neue Formen von Subjektivierungsprozessen geht. Ich meine Subjektivierungsprozesse, in denen Handlungsfähigkeit im Wissen um die forcierte Prekarisierung und Partialisierung des Kunstfelds — und darüber vermittelt natürlich auch in den Feldern, die als solche der Nicht- Kunst definiert und etabliert werden — erprobt und erkämpft wird. Mit der Begri±ichkeit des späten Foucault könnte man das (institutionskritische) Erlangen von solcher Handlungsfähigkeit über bestehende Subjekt-, Institutions- und Disziplingrenzen hinweg vielleicht als Ästhetik einer Existenz jenseits des disziplinär vereinzelten Subjekts bezeichnen. 54
Rossella Biscotti Roberto Nigro 55 Mechanisms of Imprisonment 1 2 4 5 Rossella Biscotti Roberto Nigro Mechanisms of Imprisonment 3 Fig. 1–5 Il Processo (The Trial), documentation of the performance, former High Security Courtroom in the Foro Italico, Rome. Still from 8mm film, 2010–2012.
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