30nach autonomer Verfügung <strong>der</strong> Betriebe über Ressourcen und Innovationsentscheidungen <strong>der</strong>Betriebe plus demokratischer Mitbestimmung (Rainer Land), nach politischer Öffentlichkeit alsZusammenhang autonomer politischer Subjekte (Michael Brie), die durch Recht und nicht durchein Zentrum Partei reguliert werden (Rosemarie Will). Die Anknüpfungspunkte an den Diskurs<strong>der</strong> interdisziplinären Forschungsgruppe sind offensichtlich, aber auch die an<strong>der</strong>e Perspektive.<strong>Der</strong> damit verbundene Paradigmenwechsel aber konnte vor 1989 nicht explizit aufbrechen undnicht als politischer Gegensatz zur Aufbaugeneration erkennbar werden. Beide Generationenstanden in einem kritischen Verhältnis zur Realität und zur offiziellen Parteilinie, ihre kritischenPotentiale stützen sich gegenseitig. Zudem waren beide wissenschaftlich wie politisch aufeinan<strong>der</strong>angewiesen. Die Differenzen brachen erst nach 1990 auf, und zwar insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong>Deutung <strong>der</strong> Bundesrepublik und in <strong>der</strong> Debatte um eine Reformstrategie nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung,z.B. in <strong>der</strong> Kritik Heuers am ,Mo<strong>der</strong>nen Sozialismus‘, <strong>der</strong> für ihn ,demokratischen Kapitalismus‘bedeutete, weil er das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln aufgab.Fall 3: Man muß alles noch mal neu bestimmen. Siegfried KostSiegfried Kost gehört zu den jüngeren Vertretern <strong>der</strong> dritten Generation des <strong>SED</strong>-<strong>Reformdiskurs</strong>es.1959 geboren, absolvierte er die Polytechnische wie auch die Erweiterte Oberschule mitdem Prädikat ,Mit Auszeichnung‘; nach Ableistung des Wehrdienstes - im Wachregiment „FelixEdmundowitsch Dzierzynski“ des MfS - nahm er 1980 ein Diplomlehrerstudium Physik/Mathematikan <strong>der</strong> Pädagogischen Hochschule Dresden auf. Seminare und Vorlesungenbestärkten sein Interesse an gesellschaftstheoretischen und philosophischen Problemen; Kostentschied sich gegen den Lehrerberuf und für eine Perspektive als Sozialwissenschaftler. Erengagierte sich in <strong>der</strong> Arbeitsgruppe „Individualitätsforschung“ des Bereichs Dialektischer undHistorischer Materialismus <strong>der</strong> Sektion Marxismus-Leninismus und schrieb seine Diplomarbeitzur marxistischen Theorie <strong>der</strong> Persönlichkeit. Auf <strong>der</strong> Grundlage eines individuellen Studienplaneskonnte er sich an <strong>der</strong> Berliner Humboldt-Universität tiefgründiger seinen wissenschaftlichenInteressen widmen - im Gespräch berichtet er dazu:„Nach drei <strong>Jahre</strong>n hatte ich mein Studium mit allen Abschlüssen beendet - damit ich wirklich Freiraumhatte, war auch die Diplomarbeit fertig -, aber ich hatte es nicht formal abgeschlossen: Das Jahr, dasich herausgearbeitet hatte, wollte ich auch für mich haben ... (Ich) wollte ... nun einmal richtig die Philosophiestudieren, das hieß für mich damals Dialektischen und Historischen Materialismus. Ich bin alsoin die Vorlesungen von Stiehler und von Monika Leske gegangen. Die Vorlesungen waren eineziemliche Enttäuschung, weil mir immer klarer wurde, gerade bei <strong>der</strong> Dialektik-Vorlesung von MonikaLeske, daß das Ganze nicht stimmig ist, gar nicht stimmt. Ich hatte angefangen, nebenbei die ‚Wissenschaft<strong>der</strong> Logik‘ zu lesen, weil Hegel mich schon immer reizte, und stellte fest, daß gerade die Dialektikvöllig verquer lief: daß man sich in den Begründungen auf Hegel zurückzog und nicht gewahrwurde, daß sie weggeschlagen waren, wenn man nicht mehr den objektiven Idealismus als Gesamtkonstruktionakzeptiert. ... (D)er größte Gewinn war neben <strong>der</strong> ‚Wissenschaft <strong>der</strong> Logik‘ und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>enHegel-Lektüre die Vorlesung von Pepperle ... Pepperle hob ja die Philosophen auf das Kathe<strong>der</strong>,
31er hat einem die philosophischen Systeme nahegebracht, man meinte manchmal, <strong>der</strong>jenige steheselbst vorn. Fast aus dem Kopf hat er zitiert und vor allen Dingen die Grundlogik des philosophischenSystems entwickelt, er gab gute Literaturempfehlungen. Dadurch bin ich auch auf die Vorlesung zurHegelschen ‚Geschichte <strong>der</strong> Philosophie‘ gestoßen. Dort ist mir damals schon ein Gedanke Hegelsaufgefallen, <strong>der</strong> für mich auch heute noch entscheidend ist; sinngemäß lautet er, daß bei den vorangegangenenPhilosophien nicht das philosophische Prinzip an sich falsch war, son<strong>der</strong>n nur immer dieVerabsolutierung dieses Prinzips als das Einzige o<strong>der</strong> Letzte. Und das fand ich auch für die bürgerlichePhilosophie zutreffend, weil für mich die Annahme absurd war, daß so kluge und geistig hochstehendeMenschen vielleicht nur Chimären aufsitzen sollten - und an<strong>der</strong>e sozusagen die Weisheit infolgesozial richtiger Geburt mit <strong>der</strong> Muttermilch einsogen ... Damit öffnete sich für mich eine ganz neueRichtung, in <strong>der</strong> man fündig werden und viel lernen konnte. Das fiel auf einen fruchtbaren Boden,meine ganze Kritik am Dialektischen und Historischen Materialismus erhielt hier zusätzliche Argumenteund auch Denkauswege ... Meine Kritik resultierte natürlich auch daher, daß ich eine naturwissenschaftlicheAusbildung hatte. Mir war sehr wohl bewußt, daß es in den Gesellschafts- und Geisteswissenschafteneine an<strong>der</strong>e Logik gibt - aber klar war auch, daß wissenschaftliche Standards nicht aufgehobensind. Und <strong>der</strong> wichtigste Standard ist: alles muß begründet o<strong>der</strong> als Hypothese o<strong>der</strong> Vermutungausgewiesen sein. Über kurz o<strong>der</strong> lang mußte ich so natürlich mit <strong>der</strong> ‚Grundfrage <strong>der</strong> Philosophie‘in arge Bedrängnis geraten, und irgendwann - das begann in dieser Zeit, ich kann es jetzt nichtmehr im Einzelnen nachvollziehen - wurde mir klar, daß diese Philosophie sich selbst beschränkt, weilsie eigentlich umkippte in eine Art irrationale Weltanschauung.“ (Gespräch, Zeile 119-174)Ab Herbst 1984 war Kost befristeter Assistent an <strong>der</strong> Sektion Marxismus-Leninismus <strong>der</strong> PädagogischenHochschule Dresden. Im Bereich Dialektischer und Historischer Materialismus tätig,führte er vorlesungsbegleitende Seminare durch, beteiligte sich an <strong>der</strong> Forschungsgruppe „GesellschaftlicheVerhältnisse - individuelles Verhalten“ und arbeitete an seiner Dissertationsschrift.Ihr Titel „Eigentum als gesellschaftliche Formbestimmtheit individuellen Verhaltens“ markiertbereits, daß Kosts wissenschaftliches Thema ins Zentrum <strong>der</strong> sozialphilosophischen Diskussionvorstieß. Es ging ihm um nichts geringeres als um eine begrifflich konsistente Deutungvon gesellschaftlicher Existenz und Entwicklung als Einheit von (gesellschaftlichen) Verhältnissenund (individuellem) Verhalten. Standen so die Zentralkategorien einer im Historischen Materialismusdogmatisierten Sozialphilosophie zur Disposition, so hinsichtlich <strong>der</strong> gegebenenPraxis des Sozialismus <strong>der</strong>en Grundstruktur und -tendenz.Im Gespräch führt Kost zu seinem Anliegen aus: „Ich habe durch das Lesen zur Persönlichkeitstheoriegemerkt: es gab zwar vieles, aber <strong>der</strong> Zusammenhang von Verhalten und Verhältnissen war eigentlichüberhaupt nicht klar, das Verhältnis von Verhalten und Verhältnissen war offen. So bin ich auf dieFrage gekommen: Was sind überhaupt gesellschaftliche Verhältnisse? Das wie<strong>der</strong>um hing damit zusammen,daß ich die Gesellschaft verstehen und Gesellschaft und Individuum auch irgendwo zusammenbringenwollte. Und mit den vorgefundenen Begriffen ging das nicht. Je<strong>der</strong> verstand etwasan<strong>der</strong>es darunter; sie wurden aber zugleich so abstrakt verwendet, daß bei näherem Befragen eigentlichkeiner richtig sagen konnte, was er damit meinte ... Die Konfusion wurde natürlich bei <strong>der</strong> Basis-Überbau-Problematik unübersehbar.“ (Gespräch, Zeile 257-266) „Ich habe ja die Ideologie ernst genommen,was die Zielstellungen betrifft, und die hatte ich auch verinnerlicht. In dem Sinne verinnerlicht,wie es Marx gemeint hat: daß eine Gesellschaft dann gut ist, wenn sie die freie Entfaltung jedesEinzelnen gestattet. Was ich erlebte, war aber immer die Tendenz, die freie Entfaltung aus irgendwelchenÄngsten zu beschneiden und das Funktionieren <strong>der</strong> Gesellschaft o<strong>der</strong> ein hehres Ziel als dasErstrebenswerte hinzustellen, dem man zu folgen hätte ...“ (Ebenda, Zeile 292-298)Kosts wissenschaftliche Arbeitsweise ist im wesentlichen textanalytisch und -kritisch, wobei dieaußergewöhnliche Intensität und Breite <strong>der</strong> Rezeption auffällt. Das Literaturverzeichnis <strong>der</strong> Dissertationumfaßt über 500 Quellen verschiedener Wissenschaftsgebiete. Seine Distanz zum