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Der SED-Reformdiskurs der achtziger Jahre - Rosa-Luxemburg ...

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60Kreises mit <strong>der</strong> Psychotheraphie, hereingetragen wesentlich durch Hans-Joachim Maaz, <strong>der</strong> zunächstin Beeskow und später in Halle tätig war. <strong>Der</strong> klassische Freud, aber eben auch C.G. Jung und Adler;bis dahin, daß wir die Psychotheraphie auch ein Stück weit sozusagen praktizierten. Steiner wurde fürmich im Grunde sehr spät bedeutsam, erst am Schluß des Konzeptbildungsprozesses, und zwar zunächstim Rahmen meiner inneren Auseinan<strong>der</strong>setzungen. Das Religiöse war für mich zeitweilig wichtiggeworden, nicht in einer kirchlichen o<strong>der</strong> volkskirchlichen Weise, jedoch als Sinnfrage ... 2000 <strong>Jahre</strong>,und kein Gott zeigt sich.“ (Gespräch, Zeile 154-167)„<strong>Der</strong> vormundschaftliche Staat“ dokumentiert, daß die theoretische Arbeit für Henrich Momenteines existentiellen, die Gesamtpersönlichkeit erfassenden, moralisch-politischen Selbstverständigungsprozesseswar. Die DDR-Verhältnisse sollten, so seine Intention, reformiert werden.Dazu bedurfte es eines grundsätzlichen, theoretisch fundierten Nachdenkens - <strong>der</strong> kritischenWirklichkeitsanalyse wie <strong>der</strong> gehaltvollen Konzeptbildung. Akteur <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung, so HenrichsPosition, ist nicht die herrschende Politbürokratie, son<strong>der</strong>n sind die vielen Einzelnen, die - ob inden Basisorganisationen <strong>der</strong> Partei o<strong>der</strong> in den alternativen Gruppen - beginnen, aus <strong>der</strong> staatlichenVormundschaft herauszutreten. Seine Entscheidung, das Buch in <strong>der</strong> Bundesrepublik zupublizieren, um überhaupt Wirksamkeit in und für die DDR erreichen zu können, und als Bürgerund Parteimitglied die dann möglichen Konsequenzen zu tragen, sollte dafür zugleich exemplarischesBeispiel sein.Zu seinem Anliegen formuliert Henrich im Gespräch: „Im Grunde genommen ging es mir darum, etwaszu schreiben, das an die Debatten in <strong>der</strong> damaligen DDR anschließt, sowohl inhaltlich - die Thesen<strong>der</strong> Formationstheorie z.B. waren ja nicht nur den Parteimitglie<strong>der</strong>n vertraut - als auch im Sprachgebrauch.Dabei war neben <strong>der</strong> Kritik zugleich die Frage zu behandeln, wie man sozusagen aus demSchlamassel herauskommen kann. Was also wird aus dem Volkseigentum? Wie kann man Unternehmenin einer Weise organisieren, daß sie am Wettbewerb teilnehmen können? Steiner hatte sichausgangs des 1. Weltkrieges darüber Gedanken gemacht; in den USA existierten in großem Umfangsolche gesellschaftlichen Formen wie die Mitarbeiter-GmbH ... Mit solchen Anregungen im Hinterkopfversuchte ich, an das Bewußtsein unserer Leute anzuschließen, ihnen ein Denkangebot vorzulegen.“(Gespräch, Zeile 10-18) An an<strong>der</strong>er Stelle heißt es: „(I)ch wollte ja auch bewußt die Parteimitglie<strong>der</strong>erreichen. Mehr als zwei Millionen <strong>SED</strong>-Mitglie<strong>der</strong> gab es, da gehörten vielleicht 70 o<strong>der</strong> 80 Prozent<strong>der</strong> gesamten Intelligenz dazu, und ich hoffte, die auf diese Weise ansprechen zu können. Die theoretischeDebatte hatte zur damaligen Zeit immer auch unmittelbar praktische Bezüge - theoretisch etwasin Abrede zu stellen o<strong>der</strong> in Zweifel zu ziehen, bedeutete im Grunde genommen, die Machtfrage zustellen. Und wir waren durch unsere Erziehung weitgehend kopfgesteuert; meine Hoffnung war, wenndas Buch den Leuten auf den Tisch kommt, dann wird es bei ihnen solche Prozesse auslösen, wie ichsie schon vollzogen hatte, o<strong>der</strong> sie immerhin zuspitzen.“ (Ebenda, Zeile 86-93)In dem Text „Warum ich dieses Buch schrieb“ erklärt Henrich: „Mir ist selbstverständlich bewußt: Mit<strong>der</strong> Veröffentlichung meines Buches ,<strong>Der</strong> vormundschaftliche Staat‘ begehe ich in den Augen meinerParteioberen ‚Verrat am Sozialismus‘! Lange Zeit, ich denke zu lange, hat mich die Aussicht auf dieseBewertung meines Tuns abgeschreckt. Und zwar nicht deshalb, weil mir noch etwas am bürokratischenSozialismus gelegen wäre - <strong>der</strong> ist sowieso heutzutage reformbedürftiger als je zuvor. Nein,mich hat die Verratsvorstellung an sich geschreckt, denn unbewußt wollte ich lieber mit <strong>der</strong> Macht und<strong>der</strong> Mehrheit sein. Inzwischen bin ich mir jedoch sicher: Die Vormundschaft <strong>der</strong> Politbürokratie kannohne Handlungen, welche den Machthabern als Verrat erscheinen müssen, gar nicht gebrochen werden.An<strong>der</strong>s gesagt: Wir müssen endlich das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung mit Lebenerfüllen. ... Ich behaupte ..., daß <strong>der</strong> einzelne, <strong>der</strong> moralisch leben will, seine gesamte politische Tätigkeitletztendlich nur von jenem Grunde seines Daseins her bestimmen kann, wo er <strong>der</strong> Wegweisungdes ‚inneren Menschen‘ gewahr wird, wo die Stimme des Gewissens lauter klingt als <strong>der</strong> Ruf <strong>der</strong> Partei.Zwischen <strong>der</strong> Parteilinie und dem Gewissen des einzelnen Mitglieds kann es immer wie<strong>der</strong> zu Divergenzenkommen. Das wird zuweilen dazu führen, daß Menschen ihre Mitgliedschaft beenden. Man

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