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Der SED-Reformdiskurs der achtziger Jahre - Rosa-Luxemburg ...

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622. Die Konstituierung des Staatssozialismus auf deutschem Boden fixiert Henrich als „Formationsverdrängung“(S. 76ff.) - die staatssozialistische Grundstruktur wurde unter dem Einfluß <strong>der</strong>sowjetischen Besatzungsmacht durchgesetzt. „Ohne die vorübergehende, subjektiv durchausernst gemeinte Inanspruchnahme traditioneller Zielvorstellungen <strong>der</strong> deutschen Arbeiterbewegungund den moralischen Kredit <strong>der</strong>jenigen Kräfte, <strong>der</strong>en entschlossener Wi<strong>der</strong>stand gegendie Nazibarbarei über jeden Verdacht erhaben ist, wäre das nicht möglich gewesen.“ (S. 81)Schritt für Schritt bildete sich in <strong>der</strong> Ostzone bzw. <strong>der</strong> DDR eine gesellschaftliche Ordnung heraus,die dem staatssozialistischen Modell entspricht und dessen Charakteristika aufweist: Herrschaft<strong>der</strong> Politbürokratie, Reproduktion <strong>der</strong> Macht über Ka<strong>der</strong>auslese, Formung aller gesellschaftlichenSphären und Bereiche gemäß dem Machtinteresse, Entmündigung <strong>der</strong> Individuen.Henrich beschreibt die in Recht, Politik, Wirtschaft und Kultur gegebenen Zustände, Dysfunktionalitätenund Problemlagen pointiert kritisch. Er spricht beispielsweise von <strong>der</strong> „kulturellen Verödung“(S. 94ff.), zeigt, daß die zentrale Macht in „periodischen Abständen gerontokratisch erstarrenmuß“ (S. 119), identifiziert den staatlichen Wirtschaftsplan als Durchsetzungsinstrumentpolitbürokratischer Interessen und stellt die daraus resultierende Verfehlung von ökonomischsozialerEffizienz (S. 130ff.; breiter am Beispiel des Wohnungsbauprogramms S. 144ff) undUmweltverträglichkeit (S. 140) dar. Mit beson<strong>der</strong>er Ausführlichkeit und Schärfe widmet sichHenrich <strong>der</strong> Analyse und Kritik des staatssozialistischen Rechts- und Sicherheitssystems <strong>der</strong>DDR.Eigenständige Abschnitte behandeln die historischen Quellen des politischen Strafrechts („FeierlichesGedenken an Andrej J. Wyschinski“) und dessen zentrale Institutionen und Instrumente („PolitischerProzeß“, „Politische Polizei (Tscheka)“). Die Herrschaft <strong>der</strong> Politbürokratie bedarf <strong>der</strong> „aufgeblähtenGewaltpotentiale“, so Henrich, „als Garant <strong>der</strong> eigenen Sozialversicherung“ (S. 188). „Es geht um dieVerbreitung einer diffusen Atmosphäre <strong>der</strong> Ohnmacht und Angst bei den Menschen.“ (S. 191/192) AmBeispiel einer Gruppe junger Leute, <strong>der</strong>en Diskussion über die Gefahren von Umweltverschmutzungin die Erarbeitung einer Problemstudie mündet, die an die Teilnehmer eines Umweltschutzkongressesverteilt werden soll, demonstriert Henrich die Zugriffsmöglichkeiten des geltenden Strafrechts - einschlägigsind die Straftatbestände <strong>der</strong> landesverräterischen Nachrichtenübermittlung, <strong>der</strong> staatsfeindlichenHetze und des verfassungsfeindlichen Zusammenschlusses (S. 192/193). Die neben <strong>der</strong> Herrschaftssicherunggegebene ökonomische Funktion des Rechts behandelt Henrich im Zusammenhangmit seiner Kennzeichung individueller Existenz im Staatssozialismus als „,Gefesseltsein an den Bodenund an die Maschinerie als Zubehör‘. ... (D)ieses ‚Gefesseltsein‘ ist die entscheidende Wirksamkeitsbedingung<strong>der</strong> Politischen Ökonomie des Sozialismus. Denn überall dort, wo sich die Produzentendem Druck <strong>der</strong> Macht durch Aus- o<strong>der</strong> Abwan<strong>der</strong>ung ohne weiteres entziehen können, verringert sichdie Schlagkraft <strong>der</strong> ökonomischen Despotie bei <strong>der</strong> Weiterführung <strong>der</strong> Industrialisierung.“ (S. 155) Diedurch die Mißachtung des Rechts auf Aufenthalts- und Bewegungsfreiheit charakterisierte geschlosseneGesellschaft des Staatssozialismus hat in <strong>der</strong> Mauer ihr Sinnbild gefunden und wird rechtlichumfänglich abgestützt - von den Strafrechtsbestimmungen zum unerlaubten Grenzübertritt über dasStaatsbürgerschafts-, Paß- und Devisenrecht bis hin zu arbeits- und genossenschaftsrechtlichen Festlegungen(vgl. S. 153ff.). Staatsrecht und -praxis in <strong>der</strong> DDR sind nach wie vor geprägt durch die inden 50er <strong>Jahre</strong>n vollzogenen Entwicklungen und ihre dogmatische Festschreibung auf <strong>der</strong> BabelsbergerKonferenz - Abkehr von <strong>der</strong> Gewaltenteilung, Aufhebung <strong>der</strong> Verwaltungsgerichtsbarkeit, Negierungsubjektiver Rechte. „Zugunsten <strong>der</strong> Freiheit des Staates wurde auf die von <strong>der</strong> deutschen MärzundNovemberrevolution erstrittene politische Freiheit des einzelnen verzichtet.“ (S. 84) In Auseinan<strong>der</strong>setzungmit dem staatstheoretischen Dogma, daß diese Konturen sozialistischen Rechts die Verwirklichunggrundlegen<strong>der</strong> Prinzipien <strong>der</strong> Pariser Kommune seien, formuliert Henrich: „Wenn wir esehrlich meinen, müssen wir heute eingestehen: Mit <strong>der</strong> ‚Überwindung des bürgerlichen Grundsatzes<strong>der</strong> Gewaltenteilung‘ sind wir nicht nur <strong>der</strong> Realisierung des alten Kommune-Ideals um keinen Schritt

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