42sentliche Inhalte und nahm sie zum Anlaß, um Dieter Klein ,Plattformbildung‘ vorzuwerfen; stattwie von Klein vorgesehen, in 200 Exemplaren kopiert zu werden, waren durch Smettans Einspruchnur 50 Exemplare möglich. Am 26. September fand eine Diskussion zur Studie statt;unter den von Dieter Klein eingeladenen Gesellschaftswissenschaftlern waren auch die Dekanin<strong>der</strong> Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät und Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>SED</strong>-Kreisleitung. DieterKlein erzählt im Gespräch:„Wie man schon aus dem Teilnehmerkreis sieht, ging es mir darum, in <strong>der</strong> gegebenen problematischenSituation die in <strong>der</strong> Studie dargelegte Konzeption in die Breite zu bringen, Wi<strong>der</strong>stände wegzuräumen,für sie auch Leute aus <strong>der</strong> Umgebung von Smettan zu gewinnen. So war dann auch das Ergebnis:Das Projekt und die Studie stehen nicht für irgendeine Aktion, die man kritisch beäugen muß -ihr habt mitdiskutiert und konntet dazu Stellung beziehen. In dieser Denkrichtung wird jetzt weitergearbeitet,auch wenn das eine Linie ist, die sich von <strong>der</strong> offiziell propagierten deutlich unterscheidet.“(Gespräch II, Zeile 930-936)Ausgehend von <strong>der</strong> Thematisierung globaler Umbrüche und Bedrohungen sowie <strong>der</strong> Verläufeund Probleme <strong>der</strong> in den an<strong>der</strong>en sozialistischen Län<strong>der</strong>n eingeleiteten Wirtschaftsreformenwerden im Umbaupapier konzeptionelle Überlegungen zur Reform von Sozial- und Wirtschaftspolitik,zur Umgestaltung <strong>der</strong> Regulierungsmechanismen wirtschaftlicher und gesellschaftlicherEntwicklung in <strong>der</strong> DDR vorgetragen. Die die Behandlung <strong>der</strong> Einzelgesichtspunkte leitendetheoretische Perspektive war bereits in Lands Beitrag zur Eröffnungsberatung deutlich geworden- zentral ist für ihn die Frage nach den Bedingungen von Entwicklungsfähigkeit sozialökonomischerSubjekte. Sein evolutionstheoretisch inspirierter Zugriff erlaubt die kritische Deutungdes <strong>SED</strong>-Konzepts <strong>der</strong> ,Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik‘ und <strong>der</strong> damit erreichten Ergebnisse,er ermöglicht einen systematischen und potentiell alle Subjektebenen und gesellschaftlichenBereiche umfassenden Strategieentwurf, <strong>der</strong> insofern inhaltsoffen ist, als er angestrebteZustände nicht zugleich substanzialisierend festschreibt. Im Vorschlag, Wirtschafts- undSozialräte auf betrieblicher, kommunaler und zentraler Ebene zu installieren, konkretisiert Landdie seinem Ansatz immanente Vorstellung institutioneller Ordnung einer zukunftsfähigen Gesellschaft.Michael Brie ging es im Sommer 1989, angesichts <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Ausreisewelle über Ungarnund den von Ignoranz und Dogmatik geprägten offiziellen <strong>SED</strong>-Positionen zuspitzenden Krisenprozesse,um ein unmittelbar politisches Eingreifen. Reformverläufe, die eine sozialistischePerspektive <strong>der</strong> DDR und damit ihre eigenständige staatliche Existenz gewährleisten, erschienennur möglich, wenn sie über die Partei, ,von oben‘ eingeleitet würden. Dazu jedoch wärenzunächst entscheidende Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> innerparteilichen Konstellationen erfor<strong>der</strong>lich. Siezu erreichen, war die eigentliche Zielstellung <strong>der</strong> Thesen „Zur gegenwärtigen Lage <strong>der</strong> DDRund Konsequenzen für die Gestaltung <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> <strong>SED</strong>“. <strong>Der</strong> Text wurde in seiner Grundanlagebereits im August konzipiert und dann über vielfältige Diskussionsprozesse und die Einbeziehungvor allem analytischer Materialien zur ökonomischen und ökologischen Situation - siewurden von Wilfried Ettl erarbeitet - weiter qualifiziert. Die Ende September/Anfang Oktober
43betriebenen Versuche, über das Thesenpapier eine Reformer-Gruppe im <strong>SED</strong>-Zentralkomiteezu formieren, blieben jedoch erfolglos. Nach <strong>der</strong> Eskalation <strong>der</strong> inneren Auseinan<strong>der</strong>setzung imZusammenhang mit den ,Feierlichkeiten‘ zum 40. <strong>Jahre</strong>stag <strong>der</strong> DDR wurden die Thesen - inihrer Datierung auf den 8. Oktober - dem ZK und einigen <strong>SED</strong>-Bezirkssekretären wie auch mehrerenRepräsentanten <strong>der</strong> Opposition übermittelt.Im Gespräch berichtet Michael Brie: „Anfang bzw. Mitte August kam ich aus dem Urlaub zurück, kurzdanach habe ich mit André [Brie] und Wilfried Ettl gesprochen, vielleicht waren auch noch an<strong>der</strong>e Leuteda, ich kann das nicht genau rekonstruieren. Wir haben uns über die Situation verständigt, darüber,daß wir jetzt tatsächlich unmittelbar politisch handeln sollten. Nach meiner Erinnerung hatte ich bereitsvor dem Urlaub, im Juli, ausgehend von den Vorträgen etwas aufgeschrieben, es gab einen Vortextganz ohne Zahlen zur Ökonomie. Den gab ich dann im August Wilfried Ettl und bat ihn um das ökonomisch-analytischeMaterial. Über die Einbeziehung <strong>der</strong> Materialien von Ettl, von André - von ihmstammt insbeson<strong>der</strong>e die Einschätzung, daß das Interesse <strong>der</strong> Sowjetunion und an<strong>der</strong>er Län<strong>der</strong> an<strong>der</strong> DDR massiv gesunken, die Existenz <strong>der</strong> DDR also auch außenpolitisch gefährdet ist - und DieterSegert sowie durch viele Diskussionen wuchs sich <strong>der</strong> Text aus, entstanden die verschiedenen Erarbeitungsstufen.Die eigentliche Zielrichtung bestand darin, eine Fraktionsbildung in <strong>der</strong> <strong>SED</strong> zu beför<strong>der</strong>n- wobei wir es so breit wie möglich gestreut haben. Wir haben Ormig-Abzüge angefertigt undverbreitet, auch von <strong>der</strong> Fassung, die im Verteiler nur Klein, Segert, Land und mich nennt. <strong>Der</strong> Hinweis:,eine weitere Verbreitung bedarf <strong>der</strong> Weisung des Prorektors‘ war, wie auch die Vermerke,Internes Diskussionsmaterial‘ und ,Parteiinternes Material‘, insofern doppelzüngig, damit wollten wiruns absichern. Ich habe mehrere Fassungen <strong>der</strong> Thesen auch an die Staatssicherheit gegeben. ImDiskussionsprozeß ging es immer wie<strong>der</strong> auch um die Frage, wem man das Papier übergeben kann.Rainer gab es Markus Wolf, André kümmerte sich insbeson<strong>der</strong>e um die Künstler. Wir haben uns überlegt,welche ZK-Mitglie<strong>der</strong> dafür zu gewinnen wären, die Thesen an alle Mitglie<strong>der</strong> des ZK zu senden.Das wurde von mir, André, Dieter Segert, Rainer Land, Wilfried Ettl dezidiert diskutiert. Mit Dieter Kleinhaben wir von diesem Vorhaben nicht gesprochen, aber er kannte den Text. Wir suchten ZK-Mitglie<strong>der</strong>, die das als eigene Plattform annehmen und so eine Spaltung <strong>der</strong> Parteispitze auf <strong>der</strong> EbeneZK herbeiführen - von <strong>der</strong> Ebene des Politbüros war ja grundsätzlich nichts zu erwarten. Eine solcheSpaltung <strong>der</strong> Parteispitze wäre die Voraussetzung für eine Fraktionsbildung gewesen, ohne sieerfolgt ja einfach ein Parteiausschluß. Aber wir fanden nicht einmal ein ZK-Mitglied, das bereit gewesenwäre, das Papier mit einem Anschreiben: eine interessante Meinung, nehmt sie doch bitte zurKenntnis; an alle an<strong>der</strong>en ZK-Mitglie<strong>der</strong> zu übergeben.“ (Gespräch II, Zeile 571-597)Die Bemerkung Bries, daß er Erarbeitungsstufen <strong>der</strong> Thesen an die Staatssicherheit gab, bestätigt<strong>der</strong> damalige HVA-Mitarbeiter Wolfgang Hartmann insofern, als er im Gespräch berichtet:„Zu einem Zeitpunkt, den ich nicht mehr genau rekonstruieren kann, <strong>der</strong> aber auf jeden Fall vor dem40. <strong>Jahre</strong>stag <strong>der</strong> DDR lag, hat mir mein damaliger Abteilungsleiter in <strong>der</strong> HVA - eine sehr ranghohePersönlichkeit, ein Oberst - ein Konzeptionspapier des Forschungsprojekts gegeben. Mit dem Rat, eszu lesen; ich würde erkennen, wie übereinstimmend doch unsere Positionen - er meinte seine undmeine - mit den darin formulierten seien. Ich sollte dieses Papier auch an<strong>der</strong>en Genossen zeigen, esjedoch nicht vervielfältigen. ... Es war das Material ,Zur gegenwärtigen Lage <strong>der</strong> DDR und Konsequenzenfür die Gestaltung <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> <strong>SED</strong>‘. Von den ... Versionen ist es diejenige, die mit,Parteiinternes Material‘ überschrieben ist, kenntlich macht, daß das Forschungsprojekt zur SektionMarxistisch-leninistische Philosophie <strong>der</strong> Humboldt-Universität gehört, und nicht über einen Tabellenanhangverfügt.“ (Gespräch, Zeile 40-57)Wie hier exemplarisch sichtbar, ging es denjenigen Wissenschaftlern des Forschungsprojektsund ihres Umfelds, die Kontakte zur Staatssicherheit unterhielten, um die Absicherung ihrerHandlungsräume und darum, auch in dieser Institution reformorientiertes Gedankengut zu verbreitenund so möglicherweise politische Unterstützung zu gewinnen. Demgegenüber ist dieVorstellung, die Projektaktivitäten wären durch das MfS initiiert und gesteuert gewesen - wie sie