11.07.2015 Aufrufe

Der SED-Reformdiskurs der achtziger Jahre - Rosa-Luxemburg ...

Der SED-Reformdiskurs der achtziger Jahre - Rosa-Luxemburg ...

Der SED-Reformdiskurs der achtziger Jahre - Rosa-Luxemburg ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

57<strong>SED</strong> ist kein Privileg, son<strong>der</strong>n eine Verpflichtung, alles Fortschrittliche in <strong>der</strong> Gesellschaft aufzuspüren,für die Entwicklung des Sozialismus zu nutzen und sich selbst durch die Kraft des Beispiels andie Spitze <strong>der</strong> gesellschaftlichen Erneuerung zu stellen.“ Und: „Erfor<strong>der</strong>lich ist eine Entflechtung vonPartei und Staat ... Die politische Führung <strong>der</strong> <strong>SED</strong> darf sich nicht über direkte Eingriffe in den Leitungsprozeßvon Staat und Gesellschaft vollziehen, son<strong>der</strong>n erstens über ihr inhaltlich orientierendes,strategiebildendes Wirken in <strong>der</strong> Gesellschaft, zweitens über die ideologische, politische Orientierungund Mobilisierung <strong>der</strong> Werktätigen, drittens über das Anstreben von Mehrheiten in <strong>der</strong> Bevölkerungund in den zu wählenden Volksvertretungen ... und viertens in <strong>der</strong> gleichberechtigten Zusammenarbeitmit den an<strong>der</strong>en Parteien des demokratischen Blocks.“ Diese - zugegebenermaßen zurückhaltenden -Formulierungen binden eine <strong>SED</strong>-Führungsrolle jedenfalls nicht mehr an entsprechende Verfassungsaussagenund administrative Einflußpotentiale - abgehoben wird auf die Überzeugungskraft ihresWirkens in <strong>der</strong> Bevölkerung. Legitimität als politische Führungskraft ist so nicht von vornherein gegeben,son<strong>der</strong>n muß erworben werden. <strong>Der</strong> sie feststellende Mechanismus wird in dem von Reißig miterarbeiteten Standpunktpapier „Was erwarten wir von <strong>der</strong> 10. Tagung des Zentralkomitees <strong>der</strong> <strong>SED</strong>?“deutlicher benannt: „Wir müssen uns künftig im Wettstreit mit an<strong>der</strong>en politischen Kräften <strong>der</strong> Gesellschaftdemokratischen Wahlen stellen.“ 37 Ein pluralistisches Parteien- und konkurrenzdemokratischesWahlsystem, so wird erkannt, akzeptiert und vertreten, schließt die Möglichkeit des Verlustes politischerMacht ein. Ein Zeitungsbericht referiert die Ausführungen Reißigs auf <strong>der</strong> Konferenz des Aspen-Instituts von Ende November folgen<strong>der</strong>maßen: „Die Entscheidungen über die Politik in <strong>der</strong> DDR solltenkünftig ‚nicht mehr im Politbüro fallen, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> freigewählten Volkskammer‘. Nach solchenfreien und geheimen Wahlen könnte die <strong>SED</strong> genausogut Oppositionspartei werden, wie es möglichsein solle, daß die bisherige Oppositionsgruppe Neues Forum in die Regierungsverantwortung gelange“38 ; die Dispositionsgewalt über die Grundlinie zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklung wird von<strong>der</strong> Partei auf die Bevölkerung übertragen: „Ein ... Konzept [eines neuen Sozialismus] könnte, o<strong>der</strong>richtiger, müßte mehrheitsfähig werden, denn nur dann hat <strong>der</strong> Sozialismus in <strong>der</strong> DDR eine Zukunft.“39 Damit wird, eingebunden in die Gedankenentwicklung zur Kontur eines zukunftsfähigen politischenSystems insgesamt, jede dem Wahlverfahren und <strong>der</strong> Mehrheitsregel vorgeordnete materialeFührungsvorstellung <strong>der</strong> Partei schließlich obsolet und aufgegeben; im Beitrag <strong>der</strong> Gewi-Akademie -Reißig war unterdessen zum amtierenden Rektor gewählt worden - zur Programmdebatte <strong>der</strong> <strong>SED</strong>-PDS von Mitte Dezember heißt es: „Im politischen System <strong>der</strong> Gesellschaft versteht sich die Partei alsein gleichberechtigter Partner <strong>der</strong> übrigen Parteien und Bewegungen ... Indem sie auf jeden Führungsanspruchverzichtet, ringt sie mit ihrem theoretisch-strategischen Beitrag und ihren politischenLeistungen um ein entsprechendes Gewicht in <strong>der</strong> Gesellschaft.“ 40An <strong>der</strong> Erarbeitung des Akademie-Textes zur Programmdiskussion des Außerordentlichen Parteitagswirkte Reißig koordinierend und neben Frank Adler die Gesamtredaktion verantwortendmit; Berg brachte ein Arbeitspapier zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein. In ihrer sozialismuskonzeptionellenArbeit nahmen Reißig und Berg im Herbst 1989 verstärkt Anregungen an<strong>der</strong>ersozialwissenschaftlicher Disziplinen und Forschungszusammenhänge auf, u.a. kamenihnen auch Ausarbeitungen des Forschungsprojekts Mo<strong>der</strong>ner Sozialismus zur Kenntnis. IhrDenken zielte auf eine Gestalt sozialistischer gesellschaftlicher Verhältnisse, die sich einerseitsvon kapitalistischen Eigentums-, an<strong>der</strong>erseits von realsozialistischen Politikstrukturen abhebt.37383940In: Berliner Zeitung vom 9.11.1989, S. 11.U. Schlicht: Selbstkritik und Unterstützung für mehr Demokratie. Die Vorstellungen von DDR-Vertretern auf einerinternationalen Aspen-Konferenz, in: <strong>Der</strong> Tagesspiegel vom 30.11.1989, S. 24.Sozialismus am Ende? o<strong>der</strong> neuer Anfang?, in: horizont Nr. 12/1989, S. 3.Für einen menschlichen, demokratischen Sozialismus in <strong>der</strong> DDR, in: Neues Deutschland vom 16./17.12.1989, S.4.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!