32Denkgebäude des Historischen Materialismus verführt ihn nicht dazu, die entsprechenden Publikationenzu ignorieren, vielmehr werden diese - von den Lehrbüchern bis zu aktuellen Graduierungsarbeiten- zur Kenntnis genommen und kritisch auf ihre Logik und Stringenz befragt.Gehörte <strong>der</strong> Bezug auf Marx und Hegel durchaus zum Standard <strong>der</strong> DDR-Philosophie - wennauch sicherlich nicht in <strong>der</strong> durch Kost vorgenommenen Weise -, so jedenfalls nicht die von ihmpraktizierte Rezeption und Aufnahme mo<strong>der</strong>ner westlicher Sozialtheorie. Neben(neo-)marxistischen psychologischen Ansätzen wurden für Kost insbeson<strong>der</strong>e die systemtheoretischenKonzepte Parsons und Luhmanns belangvoll. Befragt nach seinem Zugang zur,Westliteratur‘, äußert Kost im Gespräch:„Die Zugänge waren überhaupt kein Problem ... (Mir) hat unser Bibliothekar o<strong>der</strong> eine Bibliothekarinden Tip gegeben, ich solle doch einfach einen normalen Fernleiheschein ausfüllen, <strong>der</strong> macht dannseine Runde, und wenn etwas in <strong>der</strong> Landesbibliothek nicht ausleihbar ist, geben sie ihn einfach weiter.Auf diese Art habe ich dann alles bekommen, alles, was ich wollte, bis auf zwei Bücher: ‚Die Alternative‘von Bahro ... und ‚Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus‘ von Habermas. Das habeich dann nach <strong>der</strong> Wende gelesen, auch hier haben die vom Titel her entschieden und es auf denIndex gesetzt: Die ‚Theorie des kommunikativen Handelns‘ ist viel marxismuskritischer als die ‚Rekonstruktiondes Historischen Materialismus‘. Alles an<strong>der</strong>e habe ich bekommen, zum Teil sogar von drüben,auch Dissertationen.“ (Gespräch, Zeile 373-389)Kost entwickelt sein sozialphilosophisches Konzept in <strong>der</strong> 1988 verteidigten Dissertation, mehrereAufsätze fassen den Gedankengang zusammen o<strong>der</strong> argumentieren einzelne Aspekte weiteraus. Auf welche Weise ist er damit inhaltlich am <strong>SED</strong>-<strong>Reformdiskurs</strong> beteiligt? Drei Momenteseien hervorgehoben:1. Mit <strong>der</strong> expliziten Aufnahme systemtheoretischen Gedankenguts sprengt Kost den Kanondogmatisierter sozialphilosophischer Begrifflichkeit. Seine deduktive Darstellung <strong>der</strong> Kategorien- insbeson<strong>der</strong>e: Gesellschaft, Produktions- und Überbauverhältnisse, Eigentum, Arbeit - und diedabei vollzogene Kritik vorliegen<strong>der</strong> Auffassungen weisen die üblichen Theoreme direkt o<strong>der</strong>indirekt zurück. Bis in die ,Grundfrage <strong>der</strong> Philosophie und <strong>der</strong>en Anwendung auf die Gesellschaft‘und die ,Grundgesetze <strong>der</strong> Dialektik‘ hinein wird so die offiziöse Lehr- und Wissenschaftspositiondes Historischen Materialismus problematisiert.2. Kosts Fassung des Eigentumsbegriffs - Eigentum als Verfügung über gesellschaftliche Zwecke- ermöglicht einen analytisch-kritischen Zugriff auf Geschichte und Realität des Sozialismus.Die Bestimmung des Zwecks kommunistischen Eigentums als Entfaltung von Individualität undSubjektivität stellt die historische Begrenzheit bisheriger Sozialismusentwicklung klar. Das Kriterium<strong>der</strong> Zweckverfügung akzentuiert im Gegensatz zur postulierten Identität von Arbeit undEigentum gerade <strong>der</strong>en Auseinan<strong>der</strong>fallen; Verhaltensweisen wie Arbeitsbummelei und Ausreisewünschekönnen so wissenschaftlich thematisiert und erklärt werden.3. Letztlicher Zielpunkt des Kostschen Konzepts ist die Verän<strong>der</strong>ung gesellschaftlicher Praxis.Über den gegebenen Entwicklungsstand sozialistischen Eigentums muß hinausgeschrittenwerden durch die Konstituierung von Überbauverhältnissen, welche die Individuen als Verfügendeüber die gesellschaftlichen Zwecksetzungen setzen. Indem die in den an<strong>der</strong>en sozialisti-
33schen Län<strong>der</strong>n eingeleiteten Entwicklungen als Momente des notwendigen Such- und Gestaltungsprozessesherausgestellt werden, erfolgt implizit eine deutliche Abgrenzung gegenüber<strong>der</strong> <strong>SED</strong>-Politik.Dies sei an einer Vortragspassage verdeutlicht: „Das heute im Sozialismus als Aufhebung des kapitalistischenPrivateigentums (Privateigentum = Individuen und/o<strong>der</strong> Gemeinschaften/Kollektive verfügenautonom über gesellschaftliche Zwecksetzungen, was <strong>der</strong>en nachträgliche Vermittlung bedingt) bestehendeEigentum ist im wesentlichen Gemeineigentum (Ein Teil <strong>der</strong> die Gesellschaft durch ihr Verhaltenkonstituierenden Individuen verfügt gemeinschaftlich über die gesellschaftlichen Zwecke), welchessich über den Staat (<strong>der</strong> nicht mit dem Eigentümer, als welcher er juristisch erscheint, verwechseltwerden darf, dessen Instrument er vielmehr ist) mit <strong>der</strong> Arbeit vermittelt. <strong>Der</strong> Arbeiter bleibt Lohnarbeiter,nicht des Kapitals, son<strong>der</strong>n des Staates. Dieser Zustand, durch Verwechslung von Gemeineigentumund gesellschaftlichem Eigentum (Alle die Gesellschaft konstituierenden Individuen verfügengemeinschaftlich über gesellschaftliche Zwecksetzungen) konserviert, muß - bei Strafe des Untergangsnicht nur <strong>der</strong> sozialistischen Gesellschaft - verän<strong>der</strong>t werden durch die Transformation desGemeineigentum in gesellschaftliches. Dies ist prinzipiell auf zwei Wegen möglich: zum einen in <strong>der</strong>permanenten Vergrößerung <strong>der</strong> Gemeinschaft <strong>der</strong> Eigentümer, zum an<strong>der</strong>en durch Erweiterung <strong>der</strong>Zwecke, über die schon gesellschaftlich verfügt wird. Gesellschaftliches Eigentum ist dabei, das liegtin <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache, nicht trivial, problemlos o<strong>der</strong> einfach zu realisieren, wie es manchmal bei Marxanklingt. Unmöglich können alle Individuen über alle Zwecke in gleichem Maße gemeinschaftlich verfügen,dies ist schon kommunikationstechnisch kaum denkbar. Es müssen sich vielmehr stets die Individuenzu einem Eigentumssubjekt assoziieren, welche von den realisierten Zwecken bzw. von <strong>der</strong>enRealisierung betroffen sind. Das stellt neue Fragen an das politische System (und damit zunächstan die Theorie von demselben), an das dazu nötige und dem Kommunismus entsprechende Produktionsmittelniveau(was eine entsprechende Gestaltungskonzeption bedingt), an wirtschaftsorganisatorischeVerhältnisse (die nicht mit den Produktionsverhältnissen verwechselt werden dürfen) etc. - Fragen,die nur interdisziplinär und keinesfalls ohne Bezug auf Marx, wohl aber über ihn hinausgehendbeantwortet werden müssen.“ 10Kost vertrat seine Gedankengänge in <strong>der</strong> Lehre; sein Konzept wurde insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Forschungsgruppe„Gesellschaftliche Verhältnisse - individuelles Verhalten“ aufgenommen, <strong>der</strong>entheoretische Ausrichtung er bald dominierte. Die Gutachten würdigten seine Dissertation alsherausragende Leistung, dem Vorschlag eines Gutachters, sie als B-Promotion anzuerkennen,wurde jedoch nicht gefolgt. Ende 1989, nach <strong>der</strong> Wende, erhielt Kost für seine Graduierungsarbeitsozusagen nachträglich <strong>der</strong> Wissenschaftspreis <strong>der</strong> Fakultät für Gesellschaftswissenschaften.Rückblickend faßt er die Atmosphäre an <strong>der</strong> Pädagogischen Hochschule folgen<strong>der</strong>maßenzusammen:„Ich muß sagen: ich habe an <strong>der</strong> Pädagogischen Hochschule eine wun<strong>der</strong>bare Nische gehabt, ich wareben tatsächlich keinen größeren ideologischen Angriffen ausgesetzt. Die bei mir hospitiert haben,waren mehr o<strong>der</strong> weniger tolerant, ab und zu gab es im nachhinein den Versuch eines Gesprächs.Das lag daran, daß in <strong>der</strong> Forschungsgruppe ein gewisser wissenschaftlicher Standard anerkanntwar, was sicher auf dem Niveau Pädagogische Hochschule nicht überall so gewesen sein wird. Eswurden also keine politischen o<strong>der</strong> ideologischen Diskussionen geführt, son<strong>der</strong>n immer philosophische.Auch ging man mit ideologischen Problemen, mit ideologischen Wertungen, die aus dem Seminarautomatisch hervorgingen, philosophisch um. Außerdem war natürlich sichtbar, daß ich einenausgezeichneten Draht zu den Studenten hatte.“ (Gespräch, Zeile 197-205)10S. Kost: Versuch einer Bestimmung des Eigentumsbegriffs, in: R. Land (Hg.): Marx’ „Kapital“ und Gesellschaftsentwicklungheute. Beiträge zum Kolloquium anläßlich des 60. Geburtstages von Hans Wagner am 22.2.1989,Manuskriptdruck Berlin 1992, S. 59.